Novemberrevolution und Weimarer Republik
Im Jahr 1918 kam es in der Folge der Kriegsauswirkungen im gesamten Deutschland zu einer grundlegenden Wandlung der politischen Verhältnisse, so auch in Braunschweig. In den Jahren des Ersten Weltkriegs hatten sich die Lebensbedingungen aufgrund der unzureichenden Vorsorgungslage zunehmend verschlechtert, was bereits seit 1916 zu Unruhen in der Stadt geführt hatte.
Streikbewegungen prägten die Jahre 1917 und 1918, wobei neben den wirtschaftlichen Verhältnissen zunehmend auch die politischen Zustände kritisiert wurden. Dabei entwickelte sich Braunschweig zu einem Knotenpunkt linksradikaler Strömungen, nachdem der größte Teil der SPD-Mitglieder in die 1917 neugegründete USPD (Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands) eingetreten war. Unter der Führung von August Merges kam es bereits am 2. November zu einer Massenversammlung auf dem Leonhardplatz. Merges gehörte neben dem USPD-Mitglied und einflussreichen Anarchisten Sepp Oerter, der in den Jahren 1920/1921 Ministerpräsident des Landes war, zu den Pionieren der revolutionären Änderungen. Der gelernte Schneider August Merges war seit 1911 durch seine Kontakte zum „Volksfreund“, einer seit 1871 erscheinenden und im Volksfreundhaus (auch „Rotes Schloss“ genannt) hergestellten sozialdemokratischen Zeitung, in Braunschweig aktiv. Während des Krieges hatte er sich in führender Position im „Revolutionsclub“, einem Zusammenschluss von Kriegsgegnern, und im „Spartakusbund“ engagiert. Revolutionsartige Zustände, die mit Gefangenenbefreiungen, Plünderungen und Besetzungen einhergingen, brachen in Braunschweig bereits zwei Tage früher als in Berlin am 7. November 1918 aus. Vertreter eines neu gebildeten Arbeiter- und Soldatenrates, an dessen Spitze August Merges stand, forderten am 8. November die Abdankung von Herzog Ernst August. Da dieser nach kurzem Zögern noch am gleichen Tag die ihm vorgelegte Abdankungsurkunde unterschrieb, blieb die Machtübernahme durch den Arbeiter- und Soldatenrat unblutig. Diesem bedeutsamen Ereignis wohnten ca. 20.000 Menschen in spannungsgeladener Atmosphäre auf dem Schlossplatz bei. Schon zwei Tage später, am 10. November 1918, wurde die Sozialistische Republik Braunschweig ausgerufen und der durch die USPD dominierte Landtag besetzt.
August Merges wurde zum Präsidenten erklärt und Sepp Oerter übernahm in der Position des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare die Regierungsgeschäfte. Der gelernte Maurer, Gewerkschafter und Redakteur beim Volksfreund, August Wesemeier, wurde Volkskommissar für die Belange in der Stadt Braunschweig. Seit 1918 ebenfalls Mitglied des Braunschweiger Landtags, übernahm Wesemeier 1922 das Amt des Finanzministers. Mit Minna Faßhauer, einem Mitglied der Spartakusgruppe, bekleidete erstmals in Deutschland eine Frau ein Ministeramt. In der Räterepublik war sie für Volksbildung verantwortlich und setzte unter anderem die Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht durch. Auch in anderen Bereichen wurde die Umgestaltung der politischen und sozialen Ordnung vorangetrieben, beispielsweise bei der Aufstellung einer revolutionären Volkswehr, die vor einer befürchteten Gegenbewegung heimkehrender Frontsoldaten schützen sollte.
Im weiteren Verlauf des Jahres 1918 fanden am 15. Dezember die ersten Stadtverordnetenwahlen und am 22. Dezember die Landtagswahlen nach geheimem, gleichen und direkten Wahlrecht statt. Während im Bereich der Stadt die radikalere USPD den Wahlsieg erzielte, ging auf der Landesebene die MSDP (Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands) als Gewinner hervor. Im darauf folgenden Jahr wurden der spätere Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig und gemäßigte Sozialdemokrat Heinrich Jasper sowie August Merges in die Weimarer Nationalversammlung gewählt.
Die politische Entwicklung war zu Beginn des Jahres 1919 verstärkt linksradikal dominiert, Auseinandersetzungen mit den bürgerlichen Strömungen nahmen zu. Im Januar kam es in der Folge der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts zu Protesten und Belagerungen. Nachdem Überlegungen zur Gründung einer selbständigen sozialistischen Nordwestdeutschen Republik nicht realisiert wurden, spitzten sich die Unruhen und Streikmaßnahmen der Linksradikalen im Frühjahr weiter zu. Das Bürgertum reagierte aus Protest mit einem Gegenstreik. Um eine Eskalation der Lage zu vermeiden, verhängte die Reichsregierung am 13. April den Belagerungszustand über Braunschweig. Unter dem Kommando von Generalmajor Maercker rückten bereits vier Tage später Freikorpstruppen in die Stadt ein und inhaftierten Spartakisten. Die Absetzung der Regierung sowie die Gründung bürgerlich geführter Einwohnerwehren folgten. Am 30. April wurde eine neue Regierung des Landtags mit dem Ministerpräsidenten Heinrich Jasper gewählt. Der Traum von einer proletarisch-sozialistischen Republik war ausgeträumt und die Vorstellungen der parlamentarischen Demokratie setzten sich zunehmend durch; die Situation blieb durch die Polarisierung von Arbeiterschaft und Bürgertum sowie die von der Inflation gedrückte wirtschaftliche Lage weiterhin angespannt.
Bis zur Währungsreform 1923 kam es durch steigende Geldentwertungen und den durch Rohstoffknappheit bedingten Einzug von Münzen zur Verbreitung von Notgeldscheinen. Trotz fortschrittlicher und reformerischer Maßnahmen und Entwicklungen in den 20-er Jahren, wie dem beginnenden sozialen Wohnungsbau und dem Ausbau von kulturellem Leben und Freizeitmöglichkeiten in der Stadt, verschärfte sich die Situation durch die Weltwirtschaftskrise 1929 wieder zusehends. Die Zahl der Arbeitslosen stieg dramatisch an, so dass sich vor allem in den Reihen des Mittelstandes zunehmend der Einfluss der NSDAP etablieren konnte. Verdeutlicht werden diese Entwicklungen nationalsozialistischer Tendenz am genannten Presseorgan „Braunschweiger Volksfreund“, das vermehrt unter politischen Druck geriet und dessen letzte Ausgabe am 2. März 1933 erschien.