Urgeschichte der Schunteraue
Große Teile des nördlichen Stadtgebietes von Braunschweig müssen bis ins Mittelalter hinein unpassierbares Wiesen-, Busch- und Waldland gewesen sein.
Archäologische Bedeutung aber hat dieses Gebiet, vor allem der Bereich der Schunteraue, schon frühzeitig durch bemerkenswerte Steinzeitfunde bekommen. Im Bereich der sandigen Uferzonen von Wabe, Schunter und Oker konnten nämlich schon Ende des vorigen Jahrhunderts (Grabowski 1895) und später immer wieder bis in die dreißiger Jahre (Krone 1931) Feuersteingeräte gefunden werden, die als Zeugnisse menschlicher Besiedlung der älteren und mittleren Steinzeit gedeutet werden können.
Im Einzelnen handelt es sich um charakteristische kleine Messer und Spitzen aus Feuerstein, z. T. mit sorgfältigen Kantenretuschen, sogenannte „Federmesser", „Rückenspitzen" und „Rückenmesser". Es sind Pfeilspitzen, Geräte zu Knochenbearbeitung und dergleichen, die archäologisch in das Ende der Altsteinzeit (Madeleine-Stufe) und den Beginn der Mittleren Steinzeit gesetzt werden können. Dies ist die Zeit nach dem Ende der letzten Eiszeit etwa von 10 000 bis 7 000 vor unserer Zeitrechnung.
Die Hauptfundgebiete für diese Geräte sind die Gegend um den Dowesee (heute der Städtische Schul- und Bürgergarten), besonders östlich des Sees, sowie die sandigen Uferbereiche an der Wabe und der Schunter. Vielfach werden als Fundgebiet die „Bienroder Dünen" genannt, ein Bereich, der heute weitgehend durch die Industriewerke südlich der Sandwüste unzugänglich geworden ist.
Diese Talbereiche und ihre sandigen, vielleicht buschbestandenen Ränder waren offenbar ein besonders günstiger Lebensraum für Fischer und Jäger der Steinzeit. Wir wissen, daß neben dem Fischfang die Vogeljagd und die Jagd auf größeres Wild - Elche und Hirsche - von Bedeutung war.
Aus der jüngeren Steinzeit, mit ihren schon bäuerlichen Kulturen, sind in unserem Gebiet nur wenige Einzelfunde von Steinbeilen und dergleichen gemeldet. Sie gehören fast alle dem Ende der jüngeren Steinzeit (um 2 000 vor unserer Zeitrechnung) an. Die bedeutende „Bandkeramische Kultur", die wir als älteste Bauernkultur auf den schweren Lößböden des gesamten südöstlichen Braunschweiger Landes antreffen, ist nicht bis in den Norden des Braunschweiger Stadtgebietes vorgedrungen. Auch die aus dem Lüneburger und Mittelelbe-Raum ins Braunschweigische kommende „Großsteingräber-Kultur" ist auf unserem nördlichen Stadtgebiet nur in wenigen Funden nachweisbar.
Eine gewisse „Abseitslage" zwischen den großen Kulturbereichen im Norden, Südosten und Südwesten hat offenbar für unser Gebiet auch noch in den folgenden Jahrhunderten der Bronzezeit bestanden.
Erst im letzten Jahrtausend vor der Zeitwende erlebt auch der Norden des Braunschweiger Gebietes eine stärkere Besiedlung durch frühgermanische Einwanderer, die, wie Gefäß- und Scherbenfunde erkennen lassen, aus dem angrenzenden Weser-Aller-Raum kamen.
Funde der Zeit von etwa 800 bis 300 vor Christi Geburt stammen von Völkenrode, Rühme, Querum und anderen Bereichen der nördlichen Stadt.
Aus den folgenden Jahrhunderten, der sogenannten „Römischen Kaiserzeit" und der „Völkerwanderungszeit" liegen Zeugnisse germanischer Siedlungen vor, die auf Einwanderungen aus nordöstlichen Bereichen („Elbgermanen") hinweisen. Hier sind es Urnenfriedhöfe bei Veltenhof, in der Schuntersiedlung (Helgolandstraße), dem Schulgarten und bei Querum, die eine, wenn auch geringe, Besiedlung in diesen Jahrhunderten anzeigen. Vielleicht haben einige dieser Siedlungen bis in das Mittelalter hinein Bestand behalten.
Bei der inzwischen erfolgten großstädtischen Bebauung unseres Schuntergebietes ist heute größte Aufmerksamkeit erforderlich, wenn man bei Bauausschachtungen, Garten und Feldarbeiten Zeugnisse aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit entdecken will.