Bahnhofsviertel
Als sich die Stadt im Zuge der Industrialisierung immer mehr ausdehnte entstand auch das heutige "Bahnhofsviertel" zwischen Wolfenbütteler Straße, den Bahnlinien und der Helmstedter Straße. Obwohl bereits 1849 Peter Wilhelm Friedrich Voigtländer seine optische Fabrik von Wien nach Braunschweig in die Campestraße verlegt hatte, wurde das Gebiet erst mit der Stadterweiterungsplanung des Stadtbaumeisters Carl Tappe 1870 planmäßig entwickelt. Bis dahin war das "Krähenfeld" eine verträumte Gartenlandschaft vor dem Augusttor. Wilhelm Raabe, der bekannte Braunschweiger Dichter, beschrieb die Gegend als eine "weit sich hinziehende Ebene mit wenigen Ein- und Zweifamilienhäusern, deren Gärten durch grüne Hecken und hölzerne Zäune nur unvollkommen getrennt waren." So sieht der Stadtteil heute nicht mehr aus, aber seinen besonderen Charme konnte er sich erhalten.
Gleich am ehemaligen Augusttor, dort wo heute der Kennedyplatz die Verkehrsströme sortiert, steht die "Villa Rimpau", ein Gründerzeitbau mit repräsentativer Renaissancefassade und dazugehöriger Parkanlage. Am Windmühlenberg und an der Wolfenbütteler Straße folgen weitere Prachtbauten. Auch an der Adolfstraße säumen zahlreiche herrschaftliche Häuser den Weg. Ihre Gärten reichen zum Teil bis an die Oker. Hier wohnte im Haus Nr. 45 für einige Jahre der Reiseschriftsteller Friedrich Gerstäcker, eine Villa mit einer reichen Terassenanlage gehörte dem Kaufmann Max Jüdel, der sie nach seinem Tode der Stadt schenkte. Leider wurde dieses Gebäude während des Krieges zerstört.
Es entstanden aber auch Arbeiterwohnungen für die zahlreichen hier angesiedelten Betriebe. 1871 zog die Brauerei Feldschlößchen an die Wolfenbütteler Straße - der Name leitete sich von dem benachbarten Schloss Richmond ab. 1880 folgte das seit 1627 existierende Hofbräuhaus Wolters. 1903 gründete Heinrich Büssing an der damaligen Elmstraße (heute Heinrich-Büssing-Ring) seine LKW-Werke. Lastwagen und Busse werden heute bei MAN in Salzgitter produziert, der "Büssinghof" bietet Firmen unterschiedlicher Branchen Platz. Neben Voigtländer entstand mit Franke und Heidecke an der Viewegstraße Ecke Charlottenstraße ein weiteres fototechnisches Unternehmen, das 1920 als Rollei an der Salzdahlumer Straße neue Betriebsstätten benutzte.
Zu erwähnen ist auch das "Konzerthaus" in der Böcklerstraße. 1890 im historistischen Stil erbaut, diente es als größter Veranstaltungsort Braunschweigs für Messen, Modeschauen, Tanzvergnügen und politische Kundgebungen. Adolf Hitler trat hier mehrfach auf. Nach einer kurzen Blüte als Großkino nach dem Kriege wurden die hinteren Gebäudeteile abgerissen. Nach Leerstand und Besetzung ist es seit 1990 Seniorenheim.
1797 begann Joachim Heinrich Campe mit der Anlage eines englischen Gartens. Nach seinem Tod errichteten seine Erben, die Familie Vieweg, auf dem Gelände eine Villa. Der Garten Campes erhielt den Namen Viewegs Garten. 1935 ging das Grundstück in den Besitz der Stadt über.
Die einschneidensten Veränderungen erlebte das Stadtviertel in den Jahren nach 1952. Braunschweigs neuer Hauptbahnhof entstand anstelle des alten Ostbahnhofs. Von Viewegs Garten blieb zugunsten des Bahnhofs und der dreizügigen Kurt-Schumacher-Straße nur noch ein Rest übrig. Mehr als 600 Bäume waren gefällt, die Gräber der Familie Campe auf den benachbarten Magnifriedhof verlegt, die Villa Vieweg abgerissen, im Umfeld etwa 100 Häuser abgerissen und 1000 Bewohner umgesiedelt worden.
Doch durch die umsichtige Sanierung in den 1990er Jahren hat das Bahnhofsviertel viel von seinem alten Charme zurückbekommen. Es lebt sich inzwischen wieder ruhig zwischen den Verkehrsadern der Großstadt. Die Friedrichstraße, heute eine Sackgasse zwischen Böcklerstraße und Berliner Platz, kann sich mit seinen modernen Stadthausbauten ohne weiteres sehen lassen.