Aegidienviertel

Eine ehemalige Klosterfreiheit

(1) St. Aegidien, (2) Kreuzgang und Konventsräume, (3) Paulinerchor, (4) Bürgerhäuser, (5) Lessingdenkmal, (6) Garnisonschule, (7) Leisewitz-Haus Pfarrhaus St. Aegidien, (8) Louis Spohr-Haus, (9) Spohrplatz© Stadt Braunschweig; Abteilung Geoinformation

Markgräfin Gertrud von Sachsen, die letzte Brunonin, gründete 1115 südwestlich des Dorfes Brunesguik, der späteren Altewiek, auf dem Köpfeberg ein Benediktinerkloster, das ursprünglich Maria geweiht war und später St. Aegidius (St.Gilles) gewidmet wurde. Zur weitläufigen Anlage gehörten die Aegidienkirche (1) und der Klausurbereich (2), die Klostergärten, der Wirtschaftshof und der Friedhof. Die Klosterfreiheit war dem Stadtrecht entzogen und direkt dem Landesherrn verpflichtet. Die wechselvolle Geschichte des Klosters schließt Baumaßnahmen, Säkularisierung und unterschiedlichste Nutzungen ein. 1902 wurde der Chor der Paulinerkirche des Dominikanerordens vom Bohlweg hierher versetzt (3). Nördlich der Kirche, noch auf dem Gelände der Klosterfreiheit, wurde der Ägidienmarkt als Marktplatz der Altewiek angelegt. In seinem Zentrum lag das 1752 abgerissene Rathaus dieses Weichbildes. Den Platz zerschneidet heute der nach dem Zweiten Weltkrieg neu angelegte Straßenzug Stobenstraße-Auguststraße.

 Ägidienstraße, Spohrplatz, Mönchstraße und Hinter Ägidien wurden im Laufe der Zeit mit überwiegend kleinbürgerlichen Wohnhäusern bebaut. Die Anlage der Straßen und Plätze und der erhaltene, heterogene Baubestand bestimmen heute die Eigenart dieses Quartiers.

Lage

Der Aegidienmarkt in Geschichte und Gegenwart

Aegidienmarkt mit Aegidienkeller um 1930© P-J-Meier-1931
Altewiekrathaus um 1750© Stadtarchiv Braunschweig

Aegidienmarkt

Auf der höchsten Erhebung der heutigen Innenstadt Braunschweigs wurde im Jahr 1115 das Benediktinerkloster St. Maria und Aegidius gegründet. Das Aegidienkloster befand sich in der Frühzeit der Stadtentwicklung noch abseits der ersten Siedlungsbereiche. Die Aufsiedlung des zum Weichbild Altewiek gehörigen Stadtquartiers erfolgte bis in das 13. Jahrhundert. Um 1200 wurde das Kloster in die Befestigung der Gesamtstadt einbezogen. 

Der Markt des Weichbildes Altewiek verlagerte sich in der Folge aus dem Umfeld der Magnikirche auf den rechteckigen Platz vor der Klosterkirche. Hier entstand dann unmittelbar an der alten Klostermauer das Altewiekrathaus, das 1395 erstmals erwähnt wurde. Das weitgehend in Fachwerk errichtete Bauwerk ist durch Darstellungen aus dem 18. Jahrhundert überliefert. Seine vergleichsweise schlichte Bauweise belegt im Vergleich mit den anderen Weichbildrathäusern die geringere Bedeutung der Teilstadt Altewiek.

Am Aegidienmarkt und seiner Umgebung entstanden jedoch durchaus stattliche Bürgerhäuser insbesondere entlang des wichtigen Nord-Süd-Verkehrsweges in Richtung Wolfenbüttel und Harz. Prägend für das Platzbild wurde der gotische Neubau von St. Aegidien mit seinem mächtigen Kirchenschiff und dem hoch aufragenden Dach. 

Aegidienmarkt nach Nordwest© Elmar Arnhold

Einen markanten Akzent erhielt der Markt nach Abbruch des alten Rathauses 1754 mit barocken Neubauten. Ein Beispiel hierfür ist der Aegidienkeller – das Sterbehaus Lessings – er wirkte wie ein kleines Palais. An seiner Stelle befindet sich heute das Leisewitzhaus. 

Nach weitgehender Zerstörung der Bebauung im Zweiten Weltkrieg und dem verkehrsgerechten Ausbau der Innenstadt erhielt der Aegidienmarkt ein völlig neues Gesicht. Der vierspurige Straßenverlauf und die Stadtbahntrasse zerteilen seitdem den Platzraum. Im Jahr 2017 erfolgte eine Neugestaltung des Aegidienmarktes mit der gestaltenden Absicht Übergänge zu schaffen und Verbindungen herzustellen. 

Paulinerchor© Elmar Arnhold

St. Aegidien

Das ehemalige Benediktinerkloster St. Aegidien wurde 1115 von Markgräfin Gertrud (der Jüngeren) gegründet und war ursprünglich der Hl. Maria geweiht. Die romanische Klosterkirche wurde durch einen Stadtbrand 1278 zerstört. Ab 1282 erfolgte der Neubau von St. Aegidien im Stil der Gotik. Chor und Querschiff konnten bereits um 1300 vollendet werden. Der Chor zeigt einen Umgang mit Kapellen sowie offene Strebebögen für das hohe Chormittelschiff mit seinen Gewölben. Vorbilder für diese in Braunschweig einzigartige Architektur waren die großen gotischen Kathedralen z. B. in Köln und Magdeburg. Über dem prächtigen Nordportal am Querschiff befindet sich ein für die Präsentation von Reliquien geschaffener Laufgang. 

Das Langhaus entstand in über einhundertjähriger Bauzeit mit langer Unterbrechung bis zur Weihe 1478 als Hallenkirche mit drei gleich hohen Schiffen. Das 1512-1514 gezimmerte Dach ist nicht nur stadtbildprägend, es gehört zu den größten spätmittelalterlichen Dachkonstruktionen Norddeutschlands. Ein ursprünglich geplanter zweitürmiger Westbau kam über Ansätze nicht hinaus und ist heute nur anhand von Abbruchspuren nachvollziehbar. 

St. Aegidien Nordfassade© Elmar Arnhold

Nach Auflösung des Klosters im Zuge der Reformation (1528/29) erlebte die Kirche ein wechselhaftes Schicksal. Auf die Nutzung als Garnisonkirche im 18. Jahrhundert folgten 1811 die Profanisierung und schließlich die Einrichtung als Ausstellungshalle. Von 1902 bis 1945 fungierte sie als Teil des Vaterländischen Museums (heute Braunschweigisches Landesmuseum). Seit 1945 dient der Sakralbau als katholische Kirche wieder ihrem ursprünglichen Zweck. 

Leisewitzhaus© Elmar Arnhold

Aegidienmarkt 12 - Leisewitzhaus

Das vor der hoch aufragenden Aegidienkirche stehende Leisewitzhaus hatte seinen ursprünglichen Standort an der Wallstraße 8. Dort wurde es 1976 für den Bau eines Parkhauses abgetragen und am Aegidienmarkt leicht verändert neu errichtet. Das im späten 17. Jahrhundert erbaute Fachwerkhaus war von 1788 bis 1806 Wohnhaus des Juristen und Dichters Johann Anton Leisewitz (1752-1806). Leisewitz war als Präsident des Obersanitätskollegiums federführend an der Verbesserung der Armenfürsorge beteiligt. Das schlichte Fachwerk ist typisch für die Erbauungszeit um 1700.

Das Haus befindet sich in etwa an Stelle des 1945 zerstörten Hauses des Weinhändlers Johann Hermann Angott (Aegidien- oder Altewiekkeller). Dieser Barockbau war wie ein elegantes Palais gestaltet. Ihm musste 1754 das alte Rathaus für das ehemalige Weichbild Altewiek weichen. In diesem Gebäude verstarb am 15.02.1781 Gotthold Ephraim Lessing.  

Heute wird das Leisewitzhaus von der katholischen Gemeinde St. Aegidien genutzt. Es ist ein weiteres Beispiel für die seit der Zeit um 1900 in Braunschweig geübte Tradition der Versetzung historischer Gebäude vom Originalstandort weg in andere historische Umfelder. 

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadt Braunschweig; Abteilung Geoinformation
  • P-J-Meier-1931
  • Stadtarchiv Braunschweig
  • Elmar Arnhold