Innovationen auf sechs Beinen
Von der TU-Ausgründung zum Hidden Champion mit marktbeherrschender Stellung: Die am Forschungsflughafen beheimatete Simtec Systems GmbH kann eine bemerkenswerte Firmengeschichte vorweisen. Mit ihren spektakulären „Flying Theaters“ ist die Braunschweiger Simulatorenschmiede vor allem in China erfolgreich.
Mit atemberaubender Geschwindigkeit jagt das Fluggerät durch die Canyons einer kargen Vulkanlandschaft, majestätisch gleitet es durch die Tiefsee, im Großstadtdschungel schlängelt es sich rasant zwischen den Wolkenkratzern hindurch. Die bis zu 72 Fluggäste spüren in ihren Sitzen die Bewegungen, den Wind auf der Haut, die spritzende Gischt, sogar die Gerüche nehmen sie wahr. So mancher mag dabei für einen kurzen Moment vergessen, dass er gar nicht wirklich fliegt, sondern in einem „Flying Theater“ Platz genommen hat. Der bewegliche Simulatoren-Koloss, der all diese Eindrücke actionreich und vibrierend vor einer Riesenleinwand erlebbar macht, heißt HEXaFLITE – und stammt nicht etwa aus Hollywood oder dem Silicon Valley, sondern vom Braunschweiger Forschungsflughafen. Dort arbeitet die mittelständische Simtec Systems GmbH eifrig an der Zukunft des Entertainments.
Als Simtec 1989 an den Start ging, als eine Ausgründung der TU Braunschweig, hatte die kleine Firma eigentlich das vorrangige Ziel, Flugsimulatoren zu bauen. „Wir haben aber schnell gemerkt, dass es ziemlich lange dauert, bis man in dem Bereich Vorschriften verändert und etwas verkauft“, erinnert sich der damalige Gründer und heutige Alleingeschäftsführer Bernd Kaufmann. Mit 18 Jahren war Kaufmann aus dem Wendland nach Braunschweig gekommen, um Maschinenbau und Luftfahrttechnik zu studieren. Auch wenn die Konstruktion von Flugsimulatoren relativ bald ad acta gelegt wurde, erfreut sich ein Relikt aus den Anfangstagen des Unternehmens noch heute großer Beliebtheit. Der Dornier-228-Full-Flight-Simulator lockt schon seit 26 Jahren viele Piloten aus aller Welt nach Braunschweig, die ihren Flugschein oder Nachprüfungen ablegen müssen. Weltweit gibt es keinen anderen Simulator für diesen Flugzeugtyp.
Erfolg mit Hexapoden
Flug- und Fahrsimulatoren bilden aber nur eine von mehreren Säulen, auf die sich Simtec stützt. Ein größerer Bereich sind die Testsysteme für Fahrzeugkomponenten, die von Automobil- und Flugzeugkonzernen und deren Zulieferern nachgefragt werden. Waren es Mitte der 90er Jahre zunächst Autositze, die auf den Prüfstand kamen, sind die Braunschweiger heute viel breiter aufgestellt. Besonders für ihre Testanlagen für Kraftstofftanks ist Simtec bekannt. „Da ist zwar nur eine kleine Nische, aber in der sind wir Monopolist auf einem weltweiten Markt“, betont Kaufmann. Das dritte und wichtigste – und spektakulärste – Standbein von Simtec sind die Entertainment-Anlagen: Die beschriebenen „Fliegenden Theater“, die in Movie- und Freizeitparks zum Einsatz kommen, sowie weitere Bewegungssimulatoren wie der FUNRIDE ON TRACK, eine sich drehende Kino-Plattform auf Schienen, oder der Dark Ride, eine Art interaktive Geisterbahn.
Die gemeinsame technische Grundlage von Simtecs Fahrsimulatoren, Komponenten-Testanlagen und Entertainment-Bewegungssystemen ist das Hexapod-Prinzip: Sechs hydraulische Stütz- und Antriebselemente erlauben höchste Bewegungspräzision mit sechs Freiheitsgraden – so werden Fahrzeugbewegungen realistisch simuliert. Der Erfolg der Braunschweiger, die im Jahr 2019 rund 21 Millionen Jahresumsatz verzeichneten, stützt sich buchstäblich auf sechs Beine.
Bekenntnis zum Innovationsstandort Braunschweig
Vom Technologiepark am Rebenring zog das kleine Unternehmen 1993 zum Flughafen in das damalige Avionik-Zentrum um. Dort fand Simtec eine geeignete Forschungs- und Industriestruktur vor, die Kooperationen, etwa mit dem Flugmesstechnik-Anbieter Aerodata oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), begünstigten. Im Jahr 2011 folgte, mit damals 15 Mitarbeitern, schließlich der Umzug an den heutigen Standort, in die Hermann-Blenk-Straße 52, am Kreisverkehr zwischen Waggum und Bienrode. Bis heute wurde das Firmenareal auf 45000 m² vergrößert, im Jahr 2019 eine 5500 m² große Manufaktur errichtet – ein weiteres Bekenntnis des Unternehmens zur Löwenstadt. „Auf der einen Seite bin ich natürlich stark durch Braunschweig geprägt“, sagt der 62-jährige Kaufmann, der über 40 Jahre seines Lebens hier verbracht hat. „Außerdem haben wir hier am Forschungsflughafen ein super Umfeld. Das gilt für den Forschungs- und Entwicklungsstandort Braunschweig allgemein.“
Die Vorteile einer Forschungsregion machen sich etwa bei der Suche nach Mitarbeitern bemerkbar, auch wenn das Thema Fachkräfte trotz des günstigen Standorts noch immer kein einfaches sei. „Wenn VW den Staubsauger einschaltet, wird es schwierig für uns“, gesteht Kaufmann, der aber gleichzeitig betont, dass das Anforderungsprofil von Simtec ein ganz anderes sei als das der Wolfsburger. „Wir suchen eher Universaltalente. Der Innovationsanteil an der Arbeit ist bei uns sehr groß“, macht der Ingenieur und Firmenchef sein Unternehmen potenziellen Bewerbern schmackhaft.
China als Wachstumsmotor
Im Zuge der Expo 2010 in Shanghai schaffte die Simtec Systems GmbH mit seinen Entertainment-Systemen den Sprung nach China. Das asiatische Riesenreich, mit seinen opulenten Freizeitparks, wurde zum stärksten Wachstumsmotor für die Braunschweiger, die ihre einstige Vision, sich weltweit als Spezialist für innovative Simulationssysteme zu etablieren, längst umgesetzt haben. „70 bis 80 Prozent unseres Gesamtumsatzes erwirtschaften wir in China“, überschlägt Kaufmann. „In den vergangenen zehn Jahren sind wir dort in unserem Bereich zu einem der stärksten ausländischen Unternehmen geworden.“ Abgesehen von den rund 80 Mitarbeitern in Braunschweig, darunter übrigens auch Bruder Axel, Tochter Anne sowie der Neffe des Geschäftsführers, sind mittlerweile auch acht Angestellte an drei chinesischen Standorten tätig.
Technik „Made in Braunschweig“ hat in der Volksrepublik also begeisterte Abnehmer gefunden. Sich im wichtigen Entertainment-Bereich fast ausschließlich auf den China-Export zu konzentrieren, wäre dennoch ein Fehler, glaubt der Simtec-Chef. Die Konkurrenz vor Ort hole auf, und die strategischen Pläne der chinesischen Regierung, einheimische Firmen weiter zu stärken, mache es ausländischen Anbietern zunehmend schwerer. Folgerichtig sind die Braunschweiger auch an anderen Schauplätzen aktiv. Ein Großprojekt in Katar steht in den Startlöchern, zwei erste Aufträge für Freizeitparks in den USA verzögerten sich nur wegen der Coronakrise. Auch in Deutschland, zum Beispiel im Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum und in der Zoom Erlebniswelt in Gelsenkirchen, hat Simtec bereits Entertainment-Simulatoren errichtet.
ScreenFlite: Eine zwölfarmige Display-Krake
„Wir versuchen uns immer etwas Neues auszudenken, suchen immer nach unserer Nische“, nennt Kaufmann Gründe dafür, dass Simtec nach über 30 Jahren noch immer erfolgreich ist. Ein Beleg dafür ist der ScreenFLITE: Die innovative Leinwand aus zwölf LED-Monitoren, die an individuell programmierten Roboterarmen um eine Längsachse rotieren, markiert den Einstieg des Braunschweiger Unternehmens in die Werbe- und Kommunikationstechnologie. Die futuristisch anmutende, spektakulär kreisende Display-Krake wurde bislang erst einmal in der Welt verbaut – auf dem Flughafen Fiumicino in Rom, wo sie für staunende Gesichter sorgt. Die jüngste Simtec-Innovation stützt sich zwar nicht auf die sechs Hydraulik-Beine, hat mit den fliegenden HEXaFLITE-Theatern aber etwas anderes gemeinsam: Wer sie einmal in Aktion erlebt hat, wird sie ganz sicher nie wieder vergessen.
Text: Christoph Matthies, 30.06.2020