Medikamente nach Maß
Das Zentrum für Pharmaverfahrenstechnik (PVZ) beweist, dass man in Braunschweig auch in der pharmazeutischen Forschung ganz vorne mitspielt. Hier arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen in einer deutschlandweit einzigartigen Konstellation gemeinsam an der medizinischen Technologie der Zukunft: Von wirksameren Impfstoffen und günstigeren Herstellungsverfahren bis hin zu maßgeschneiderten Medikamenten und Versuchsorganen auf Mikrochips.
Ich kenne Professor Arno Kwade bereits als Leiter des Instituts für Partikeltechnik (iPAT) (Öffnet in einem neuen Tab), das in den vergangenen Jahren mit seiner Arbeit an Batteriezellen (Öffnet in einem neuen Tab) für Aufmerksamkeit sorgte und nun auch das deutsch-schwedische Startup „Northvolt Zwei“ bei der Herstellung der grünsten Batterie der Welt (Öffnet in einem neuen Tab) mit seiner Expertise unterstützt. Dass Professor Kwade und sein iPAT auch bei pharmazeutischen Unterfangen federführend sind, scheint auf den ersten Blick nicht recht zu passen.
Doch von der Batterie zur Tablette ist es partikeltechnisch gar kein so weiter Weg: „Wir besitzen ein sehr gutes Verständnis davon, wie man aus kleinsten Partikeln etwas herstellt und wie man Partikel so verändert, dass sie gewünschte Eigenschaften aufweisen“, erklärt mir der renommierte Verfahrenstechniker. „Anode und Kathode einer Batterie sind mit winzigen Partikeln beschichtet, die den Strom aufnehmen. Und eine Tablette besteht aus Partikeln, die einen Wirkstoff freisetzen.“
Naturwissenschaft trifft Technik
Das PVZ (Öffnet in einem neuen Tab) ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von rund einhundert Forscherinnen und Forschern aus den Natur- und Ingenieurswissenschaften, vornehmlich der Pharmazie und Verfahrenstechnik. „Wir verbinden hier Wirkstoff-, Material- und Formulierungswissen mit verfahrenstechnischem, mikrotechnischem und produktionstechnischem Know-how“, fasst Professor Kwade zusammen. „Die einen wissen, wie man einen Wirkstoff aufbaut, also wie und wo er wirken muss. Und die anderen können die Stoffe verarbeiten, maschinelle Verfahren entwickeln und eine industrielle Produktion aufbauen.“ Diese Kombination mache das PVZ deutschlandweit einmalig.
Das Zentrum, dessen Initiator und Sprecher Kwade ist, verfolgt dabei drei wesentliche Ziele: Zum einen die Bereitstellung maßgeschneiderter und produktschonender Herstellungsverfahren als Voraussetzung für kostengünstigere Arzneimittel. „Bislang wird bei der Herstellung von Medikamenten zum Beispiel immer eine Charge genommen und von einem zum nächsten Prozess getragen. Das ist relativ umständlich“, erklärt mir Professor Kwade. „Wir entwickeln Verfahren und Mikroprozesse, die eine kontinuierliche und somit ökonomischere Produktion ermöglichen.“
Zum anderen ist da die effiziente Formulierung schwer löslicher Wirkstoffe und empfindlicher Biopharmazeutika zu wirksamen Arzneimitteln. Das kann bereits die Steigerung der Bioverfügbarkeit von Wirkstoffen sein, indem man durch ihre Verkleinerung in den Nano-Bereich die Gesamtoberfläche erhöht. Aber auch beim Thema Corona trägt das PVZ seinen Teil zur Entwicklung von Impfstoffen bei: „Injizierte mRNA würde auf sich allein gestellt nicht unbeschadet in den Zellen ankommen. Man muss sie daher quasi in eine schützende Fett-Hülle verpacken“, veranschaulicht Professor Kwade das Prinzip. „Zu diesem Zweck entwickeln wir Lipid-Nanopartikel.“
Der Kaffee-Automat für Medikamente
Drittes Kernziel des PVZ ist die Entwicklung miniaturisierter Anlagen zur Herstellung kleiner, patientengerechter Mengen von personalisierten Arzneimitteln: „Ich nenne es gerne den Kaffee-Automaten in der Apotheke“, erzählt mir Professor Kwade augenzwinkernd. „Sie erhalten einen Barcode vom Arzt, und das Gerät produziert wie ein 3D-Drucker kurzerhand Ihre persönliche Tablette mit der passenden Wirkstoffmenge. Oder ein Kombipräparat, damit man nicht mehrere Tabletten einnehmen muss.“ Eine hilfreiche Innovation besonders für ältere Menschen mit mehreren Medikamenten oder Kinder, bei denen man Tabletten oft per Hand zerteilen muss.
Ähnlich futuristisch mutet das Konzept „Organ-on-a-Chip“ an: Dabei wird Gewebe mit mikro-fluiden Systemen auf Biochips nachbaut, um an ihnen neue Wirkstoffe zu testen, statt in Tierversuchen oder am Menschen. Und auch dies ist nur ein weiteres von vielen möglichen Beispielen für den Wissenstransfer zwischen Forschung und Produktion am PVZ, dessen weitreichender Nutzen in meinen Augen gar nicht genug betont werden kann: „Wenn wir Krisen wie die derzeitige in Zukunft besser bewältigen wollen, müssen wir noch viel stärker in diesen Bereich investieren“, unterstreicht Professor Kwade. „Das ist für unsere Gesellschaft langfristig sehr wertvoll.“
Text: Stephen Dietl, 15.02.2021