Fliegen leicht gemacht
Als führende Forschungsinstitution im Bereich der Mobilität, die sich in und oberhalb der Wolken abspielt, hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) schon viele Innovationen auf den Weg gebracht. Eine zunehmend größere Rolle spielt beim DLR am Standort Braunschweig-Waggum derzeit die Entwicklung verbrauchsarmer Flugzeuge. Am Forschungsflughafen im Norden der Stadt hat deshalb jüngst das CFK-WingLab eröffnet, in dem (nicht nur) Leichtbaumaterialien auf Herz und Nieren geprüft werden.
In Zeiten des Klimawandels und stetig steigender Preise für fossile Brennstoffe gewinnen Lösungen, die dabei helfen, Energie einzusparen und effizienter zu werden, immer mehr an Bedeutung. Dies gilt im Bereich der Mobilität ebenso wie in der Industrie. Auch in der Luftfahrt, da ist sich Prof. Martin Wiedemann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig (Öffnet in einem neuen Tab) sicher, gibt es weiterhin massive Einsparpotenziale. „Es ist ein ganz wichtiger Teil unserer Forschung, die Energieeffizienz von Flugzeugen zu steigern, so dass sie künftig deutlich weniger Energie verbrauchen als selbst die modernsten Flugzeuge heute“, beschreibt der Direktor des Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik (Öffnet in einem neuen Tab) einen der Schwerpunkte, mit denen er und sein Team von rund 190 Mitarbeitern sich tagtäglich beschäftigen. Und das nicht nur innerhalb ihres Instituts, sondern auch als Teil des Exzellenzclusters „Sustainable and Energy-Efficient Aviation – SE2A“ der TU Braunschweig (Öffnet in einem neuen Tab), an dem sich das DLR beteiligt.
Ultraleichte Plattformen könnten Satelliten ersetzen
Als ich Ende April die neue Experimentier-, Test- und Montagehalle des Instituts, das CFK-WingLab besuche, wirkt sie noch sehr aufgeräumt. Die ersten Maschinen wurden gerade erst ausgepackt, ganz allmählich füllen sich die 365 Quadratmeter. In der Mitte des im Dezember 2021, also mitten in der Pandemie eröffneten „Flügel-Labors“ steht aber schon: ein Flügel. Zumindest ein etwa zwei Meter langes Stück davon. Was ich zunächst für den Bestandteil einer Flugzeugtragfläche halte, gehört in Wirklichkeit zum HAP alpha. Wiedemann beschreibt dieses Fluggerät als eine „ultraleichte, hochfliegende Plattform“, die nicht etwa zur Personen- oder Warenbeförderung, sondern für Kommunikationszwecke und zur Erd- und Naturbeobachtung genutzt werden soll. Insofern stellt der HAP alpha, der mit seinen 27 Metern Spannweite auf der Modellskizze wie ein sehr schlankes, aber breites Segelflugzeug aussieht, eine günstige Alternative zu einem Satelliten dar. Günstig schon deshalb, weil er nicht wie ein Satellit in eine Umlaufbahn im All gebracht werden muss. „Jedes Kilo, das man ins All befördern möchte, kostet extrem viel Geld“, betont der Institutsleiter. Der HAP alpha soll stattdessen in der Stratosphäre, in einer Höhe von bis zu 30 Kilometern über der Erde seine Runden drehen – aber eben nicht im All.
Gegenüber einem Satelliten hat eine derartige, autonom fliegende Plattform also einen großen Vorteil. Dennoch ist sie „seit vielen Jahren in der Diskussion, aber noch nicht im Einsatz“, wie Wiedemann ausführt. Noch fehlt es an der notwendigen Zulassung und Genehmigung. Worüber der HAP Alpha hingegen schon verfügt, ist die für dieses spezielle Fluggerät unerlässliche Leichtbauweise. Mittels hochmodernen carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) ist es möglich, dass der fast 30 Meter breite Gleiter gerade einmal 138 kg auf die Waage bringt. Durch sein extrem geringes Gewicht wiederum gelingt es, den HAP alpha vollends energieautark schweben zu lassen. „Sämtliche Energie, die das Fluggerät verbraucht, wird tagsüber eingesammelt und gespeichert, um damit über die Nacht zu kommen“, erklärt Projektmitarbeiter Steffen Niemann und verweist auf die Photovoltaik-Folie, die auf den Tragflächen angebracht ist. „Um dies zu schaffen und auch noch auf die beträchtliche Höhe zu kommen, die deutlich über dem zivilen Luftverkehr liegt, muss man sehr, sehr leicht bauen“, betont der 39-jährige DLR-Mitarbeiter. „Und je leichter die Strukturen sind, desto weniger Energie verbrauchen sie und müssen sie mitführen“, ergänzt Professor Wiedemann.
Bei Material und Montage geht noch mehr
Das Beispiel der Ultraleichtplattform HAP alpha zeigt sehr gut, worauf es ankommt, wenn man eine höhere Energieeffizienz und damit weniger CO²-Ausstoß in der Luftfahrt erreichen möchte. Zum einen natürlich auf den Antrieb – auch Wasserstoff und e-Fuels werden zukünftig eine große Rolle spielen –, nicht zuletzt aber auch auf Material und Bauweise des Fluggeräts. „Man braucht Bauteile, die sehr leicht, aber auch extrem stabil sind“, benennt der 63-jährige Wiedemann, worauf es beim modernen Flugzeugbau ankommt, wo noch vor der Effizienz natürlich weiterhin das Primat der Sicherheit gilt.
Nun sind kohlefaserverstärkte Leichtbaumaterialien gewiss keine Neuheit in dem Segment, „schon seit mehr als 50 Jahren werden Flugzeugbauteile aus CFK-Materialien gebaut“, erklärt der ehemalige Airbus-Ingenieur. Und dennoch ist Wiedemann überzeugt, dass in diesem Bereich noch große Fortschritte möglich sind. „Die Materialien sind noch nicht so leicht, wie sie sein könnten“, sagt er. „Man könnte sie noch leichter und günstiger machen und gleichzeitig dafür sorgen, dass man sie nach ihrem ‚ersten Leben‘ wiederverwenden kann“, bringt er einen weiteren Nachhaltigkeitsaspekt ins Spiel.
Die Herstellung der CFK-Bauteile ist eine der Kernkompetenzen des DLR-Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik. Im neuen CFK-WingLab können diese nun intensiv auf ihre Eigenschaften, ihre Stabilität und ihre Einsetzbarkeit hin geprüft werden. Auch hinsichtlich der Montage der Leichtbaustrukturen soll hier künftig geforscht werden. Würde man die Flugzeugteile in Zukunft nämlich kleben oder schweißen, anstatt sie zu vernieten, wären weitere Gewichtseinsparungen möglich, ist Wiedemann überzeugt. So seien außerdem nicht zu vernachlässigende aerodynamische Einspareffekte möglich, da Strömungswiderstände, die den Energieverbrauch eines Flugzeugs deutlich erhöhen, reduziert werden könnten. Das Verkleben von Bauteilen käme einer Revolution im Flugzeugbau gleich, betont der Institutsleiter, sei aber auch kein einfaches Forschungsfeld, da Flugzeugteile in jedem Fall spannungsfrei montiert werden müssen. „Was nicht passt, wird passend gemacht? Das geht im Flugzeugbau nicht“, stellt der gebürtige Berliner klar.
Flugzeugteile aus dem 3D-Drucker
Eine gewichtige Rolle spielt im CFK-WingLab übrigens auch der 3D-Druck. Mit den kleinen Baumeistern, die manch einer schon in der heimischen Werkstatt stehen hat, hat der mehr als mannshohe sechsachsige Roboter, den man im WingLab findet, allerdings nicht viel gemeinsam. Der ungemein präzise arbeitende elektronische Helfer kann frei im Raum drucken und ist dadurch deutlich vielseitiger als seine kleinen „Kollegen“. Das zehnköpfige Team des Innovation Lab „Empower AX“ – AX steht für Additive Extrusion, eine Methode des 3D-Drucks – hat es sich zur Aufgabe gemacht, „verschiedene Verfahren im Bereich des 3D-Drucks zu testen und die Technologie voranzubringen“, erklärt Lab-Managerin Xenia Stumpf. Das Hauptaugenmerk ihrer Wissens- und Technologie-Plattform, die mit 23 Kooperationspartnern aus Industrie und Wissenschaft eng zusammenarbeitet, liegt auf dem Einsatz eines Kunststoff-Filaments mit Endloskohlefaser-Verstärkung, das mittlerweile im WingLab selbst hergestellt und den eigenen Wünschen entsprechend angepasst werden kann. Auf diese Weise sind 3D-Druckerzeugnisse möglich, die extrem leicht und doch so stabil sind, dass sie in der Luft- und Raumfahrt ebenso eingesetzt werden können wie im Automobilbau oder in der Medizintechnik.
Drei Forschungsfelder spielen im CFK-WingLab also die Hauptrolle: Leichte Bauweisen, zukunftsweisende Montagetechniken und die Entwicklung innovativer 3D-Druckverfahren. „Wir machen die Grundlagen anwendungsreif“, beschreibt Professor Wiedemann das Selbstverständnis des DLR, das sich seit jeher als Scharnier zwischen Wissenschaft und Industrie begreift. Im Hinblick auf den Energieverbrauch von Flugzeugen ist Wiedemann überzeugt, dass Fortschritte in den Disziplinen Leichtbau und Aerodynamik dazu beitragen werden, „dass man Flugzeuge, die mittlerweile eh schon sehr sparsam fliegen, noch einmal signifikant sparsamer machen kann“. So seien Energieeinsparungen von weiteren 50 Prozent bei modernen Verkehrsflugzeugen möglich, glaubt der Institutsleiter – eine bemerkenswerte Einschätzung. Sollte sie zutreffen, wäre das nicht nur für das Klima, sondern auch für die Flugpassagiere, die den Energieverbrauch ja stets im Portemonnaie spüren, eine ausgesprochen gute Nachricht.
Text: Christoph Matthies, 08.06.2022