Mit digitalem Blaulicht auf der grünen Welle
Beim Einsatz von Feuerwehr und Rettungskräften können wenige Minuten über Leben und Tod entscheiden. Häufig erschweren Staus und rote Ampeln jedoch ein rechtzeitiges Eintreffen. Hier setzt das Projekt SIRENE von DLR und Feuerwehr Braunschweig an: Das System verschafft Einsatzfahrzeugen eine grüne Welle und kann Fahrerinnen und Fahrer moderner PKW mit einem digitalen Blaulicht im Cockpit vor dem Herannahen warnen, noch bevor sie zu sehen sind. Jetzt wird es in das europäische Großprojekt Gaia-X integriert.
„Alle bereits existierenden ‚Bevorrechtigungssysteme‘ für Einsatzfahrzeuge beeinflussen den Verkehr leider stark. Denn sie schalten eine Ampel schon lange bevor das Fahrzeug überhaupt da ist und ohne zu wissen, ob es dort auch tatsächlich lang fährt“, erklärt mir Jonas Klemmt. „In einer großen Stadt wie Braunschweig müsste man also viele Kreuzungen im Voraus schalten. Mit SIRENE (Öffnet in einem neuen Tab) machen wir das anders.“ Der 25-Jährige hat kürzlich sein duales Studium der Elektrotechnik an der TU Braunschweig (Öffnet in einem neuen Tab) abgeschlossen und war bei der Feuerwehr schon als Studierender maßgeblich an der Entwicklung des Systems beteiligt. Nun kümmert er sich dort in Vollzeit um das Projekt.
Infrastruktur bereits vorhanden
SIRENE kann auf die schon bestehende Infrastruktur der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM) (Öffnet in einem neuen Tab) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (Öffnet in einem neuen Tab) am Standort Braunschweiger zurückgreifen. Zu ihr gehören die insgesamt 36 futuristischen grauen Kästen mit Antennen und Kameras an den Ampelanlagen großer Verkehrskreuzungen. Ihre Sensoren erfassen die Verkehrssituation, um das Verhalten der Teilnehmer besser zu verstehen. So soll der Verkehrsablauf effizienter gestaltet und seine Sicherheit erhöht werden. Diese Infrastruktur aus Beobachtung und Datenübertragung bildet die Grundlage von SIRENE: „Das Projekt wäre in einer anderen Stadt wahrscheinlich gar nicht möglich, da die aufwendige Sensorik dort erst noch geschaffen werden müsste“, verrät mir Klemmt.
SIRENE steht für „Secure and Intelligent Road Emergency Network“ und ist, wie der Name bereits vermuten lässt, eine digitale Vernetzung der Verkehrsinfrastruktur. Es verbindet eine Analyse der Verkehrssituation in Echtzeit mit einer Routenplanung und ermöglicht die Kommunikation zwischen Ampelanlagen und Fahrzeugen: Das System berechnet also die optimale Route zum Einsatzort unter Einbeziehung der Verkehrslage und verschafft dem Fahrzeug eine „grüne Welle“, indem es die auf der Route liegenden Ampeln zum richtigen Zeitpunkt schaltet. Vier Fahrzeuge sind inzwischen mit der Technik ausgestattet, und zwar der Löschzug der Hauptwache am Wendenring. Und für eine grüne Welle sorgen die zwölf Ampelanlagen von dort über den westlichen Ring bis zur Autobahnauffahrt Weststadt.
Da die Einsatzfahrzeuge zur Kommunikation mit den Ampeln stets ein Signal in ihre Umgebung senden, hat sich ein weiteres Projekt aus AIM und SIRENE gebildet: Das digitale Blaulicht (Öffnet in einem neuen Tab). Moderne Autos besitzen eine sogenannte Car2Car-Schnittstelle, mit der sie – ähnlich einem WLAN – mit ihrer Umwelt kommunizieren können. „Unsere Einsatzfahrzeug senden ein Signal, damit die Ampeln entsprechend schalten“, erklärt mir Jonas Klemmt. „Dieses Signal kann auch von anderen Autos empfangen werden.“ So könnten sie gewarnt werden, noch bevor sie das Einsatzfahrzeug hören oder sehen, und schon frühzeitig eine Rettungsgasse bilden. Europaweit einzigartig, kommt diese Möglichkeit in der Praxis jedoch noch nicht zum Einsatz. Es liegt in der Hand der Automobilhersteller, ihre Hard- und Software entsprechend zu modifizieren.
Gemeinsamer europäischer Fortschritt
Aktuell befindet sich SIRENE in der Auswertung. Und auch wenn die Ergebnisse bisher noch nicht öffentlich sind, spricht Jonas Klemmt von einem sicheren Erfolg und schwärmt: „Es bringt ganz klar einen Zeitvorteil. Bei klassischen Systemen staut sich fast immer der Verkehr. Das passiert hier deutlich weniger.“ Und die Einsatzkräfte selbst würden gar nicht bemerken, wie das System im Hintergrund arbeitet: „Es fühlt sich für sie an, als würden die Ampeln durch Zufall grün werden.“ Die geringeren „Eingriffszeiten“ wirken sich natürlich auch positiv für die anderen Verkehrsteilnehmer aus: Der Verkehr wird an einer Ampel nur noch rund 60 Sekunden lang aufgehalten – das entspricht einer normalen Rot-Grün-Phase.
Offiziell ist SIRENE seit vergangenem Jahr beendet, dennoch läuft es in der Praxis auf Braunschweigs Straßen weiter und erfährt nun sogar eine Aufwertung im europäischen Großprojekt Gaia-X (Öffnet in einem neuen Tab). Dessen Ziel ist die Schaffung einer gemeinsamen Dateninfrastruktur mit einheitlichen Standards und intelligenter Vernetzung, um europäische Unternehmen und Geschäftsmodelle international wettbewerbsfähiger zu machen. Quasi ein digitales Ökosystem als Innovationsplattform. Das hat auf den ersten Blick nicht viel mit der Braunschweiger Feuerwehr zu tun. Doch letztlich geht es auch bei SIRENE um den Transfer und die intelligente Nutzung möglichst vieler Daten.
„Gaia-X soll auch den Reifegrad bestehender Technologien erhöhen“, erklärt mir Klemmt. „Ein Forschungsprojekt wie SIRENE kann man nicht direkt zur Serienreife bringen. Das wollen wir bei Gaia-X als Partner in der Gruppe ‚zukünftige Fahrzeugsysteme’ ändern, indem wir das Testfeld ausweiten und noch mehr Fahrzeuge ausstatten.“ Weitere Vorhaben seien eine „automatisierte Rettungsgasse“, damit autonome Fahrzeuge von selbst Platz machen können, sowie die Einsatzüberwachung per Drohne: Noch während der Anfahrt könnten sich die Einsatzkräfte aus der Luft einen Überblick über die Situation verschaffen und sich gezielt vorbereiten. All diese innovativen Ansätze lassen sich mit Gaia-X (gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) auf europäischer Ebene skalieren – und könnten somit von Braunschweig aus irgendwann überall auf der Welt Leben retten.
Text: Stephen Dietl, 29.03.2022