Mit Flexibilität zum eigenen Produkt
Das Braunschweiger Startup COPRO Technology GmbH begann als Projekt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Mit der Ausgründung wollten die Forscher die Produktion in der Luftfahrt- und Automobilindustrie revolutionieren. Doch diese erwiesen sich als zögerliche Kunden. Und so widmen die Gründer ihr innovatives Knowhow nun einem eigenen Produkt: super leichte und zugleich extrem robuste Hightech-Felgen für Mountainbikes – von der Entwicklung bis zur Herstellung komplett „made in Braunschweig“.
Leichtbau gewinnt im Bereich der Mobilität zunehmend an Bedeutung. Je leichter ein Auto, Flugzeug oder Schiff, desto geringer sein Energieverbrauch. Grundlage sind häufig so genannte Faserverbundwerkstoffe, basierend auf Textilien aus Glas oder Carbon. „Die Fasern können Kräfte sehr gut in Zugrichtung aufnehmen. Um mit ihnen jedoch ein Material zu generieren, das in alle Richtungen stabil ist, injiziert man einen Kunststoff in das Material“, erklärt mir Henrik Borgwardt. „Durch die Aushärtung des Kunststoffes entsteht ein Verbund aus Fasern und Kunststoffmatrix, der wesentlich leichter ist und bei gleichem Gewicht mehr Kräfte übertragen kann als herkömmliche Werkstoffe wie beispielsweise Stahl.“
Doch der Herstellungsprozess ist aufwendig, da viele Bauteile bisher nur teilmanuell hergestellt werden können. Ähnlich wie ein Hutmacher den steifen Filz über eine Hutform drapiert, muss ein Werker das Fasermaterial mit seinen Händen anpassen, bevor sich oberes und unteres Formwerkzeug schließen und der härtende Kunststoff eingespritzt wird. Zudem benötigt jedes Bauteil, vom Träger in der Autokarosserie bis zur Rundversteifung im Flugzeug, eine eigene Form. All das macht die Herstellung von Faserverbund-Bauteilen sehr kostenintensiv.
Hier setzte vor zehn Jahren die Forschungstätigkeit von Henrik Borgwardt und Arne Stahl an. Gemeinsam tüftelten die Maschinenbauer beim DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik an der automatisierten Herstellung von Faserverbundbauteilen. Dabei entwickelten sie eine Idee, wie man Strukturbauteile von Flugzeugen über einen Roll-Umformungsprozess herstellen kann: flexible Rollen ersetzen dabei die menschlichen Hände. „Das Material wird durch eine Matrize von Rollen geleitet, deren Anordnung die Form des Bauteils vorgibt“, erklärt Borgwardt. „Diese Technik kann schnell an neue Formen angepasst werden, sodass mit einer einzigen Anlage viele verschiedene Bauteile hergestellt werden können.“
Doch liegt es nicht im Aufgabenbereich des DLR, eine Technologie serienreif zu machen. So standen die beiden Forscher 2016 schließlich vor der Entscheidung, sich bei ihrem Arbeitgeber einem neuen Thema zu widmen oder aber mit ihrer Idee eigene Wege zu gehen. „Es war unser Baby, also haben wir uns entschlossen, ein Unternehmen zu gründen, um diese Technologie auf dem Markt anzubieten“, erinnert sich Borgwardt.
Ideal für Gründer
2016 schufen Borgwardt und Stahl schließlich die COPRO Technology GmbH (Öffnet in einem neuen Tab). Dabei fanden sie in Braunschweig eine ideale Gründungslandschaft vor: „Das Gründungsnetzwerk stand uns mit Rat und Tat zur Seite, und im städtischen Technologiepark erhielten wir kostengünstige Büros“, erinnert sich Borgwardt. So gelang auch der Kontakt zu zwei Business Angels und die Vermittlung ihrer heutigen Produktionsräume in der Saarbrückener Straße. „Auf welche Events muss man gehen und mit welchen Leuten reden? Dabei hat uns das Netzwerk sehr geholfen.“ Hinzu kamen umfangreiche Coaching-Angebote in den Betreuungsprogrammen der Braunschweig Zukunft GmbH (Öffnet in einem neuen Tab), zunächst als Teilnehmer im Start-up-Zentrum Mobilität und Innovation (MO.IN) (Öffnet in einem neuen Tab), anschließend im Accelerator für Wachstum und Innovation (W.IN) (Öffnet in einem neuen Tab). Und dann ist da natürlich auch noch die TU Braunschweig: „Der Weg zwischen Rebenring und Uni ist kurz, wir haben gute Kontakte zu Professoren und können auf studentische Ressourcen zurückgreifen“, so Borgwardt. „Da befruchten wir uns gegenseitig.“
Doch das positive Feedback vor der Gründung führte leider nicht zu den zahlreichen Aufträgen, die sie sich gewünscht hatten: "Wir wurden zwar oft angefragt und durften die Technologie vorstellen. Aber dann hieß es, wir seien zu klein und hätten zu wenig Referenzen“, erinnert sich Borgwardt. „Man fühlte sich offenbar nicht in der Lage, mit einem jungen Startup zusammenzuarbeiten.“ Also mussten sie sich neu orientieren, praktische Referenzen schaffen und das Unternehmen wachsen lassen. Ein Plan B musste her – und wurde gefunden: Fahrrad-Felgen.
Die Referenz
„Eine Felge ist nichts anderes als ein gekrümmtes, lasttragendes Profil. Genau das kann unsere Technologie“, fasst Borgwardt zusammen. Vor allem bei Mountainbikes gebe es im Carbon-Bereich große Herausforderungen, da die Belastungen hoch sind: „Mit einer guten Felge kann man dort noch wahrgenommen werden.“ Und so konzentrierte sich COPRO ab 2019 mit Unterstützung ihrer Business Angels und des DLR auf die Entwicklung ihrer einzigartigen Felge. Seit 2020 läuft die Serienfertigung in der Saarbrückener Straße.
Das Produkt trägt den Namen „Lilienthal“ und ist eine Felge, wie sie Mountainbiker bisher noch nicht gesehen haben: „Wir verarbeiten das Material mit unserer Technologie auf eine Weise, die der Felge eine einzigartige Oberflächenstruktur gibt“, so der leidenschaftliche Radfahrer. Und natürlich sieht sie nicht nur cool aus, sondern ist auch robuster und leichter als herkömmliche Felgen. Der innovative Herstellungsprozess erlaubt zudem eine Individualisierung mit unterschiedlichen Farben und Logos.
Doch mit dem Richtungswechsel sind auch neue Herausforderungen verbunden: „Endkunden überzeugt man anders als die Industrie. Man muss direkte Praxisvorteile und den Coolness-Faktor herauszustellen“, weiß Borgwardt. „Werbung und Marketing sind hier eine ganz andere Herausforderung.“ Fachhändler haben die Lilienthal bereits in ihr Sortiment aufgenommen, und inzwischen beschäftigt das Startup zwölf Mitarbeiter. Drei weitere Felgentypen stehen kurz vor der Marktreife – für Cross Country-, Gravel- und E-Bikes.
Wird es nun also bei Fahrrädern bleiben? „Wir konzentrieren uns aktuell zwar auf die Felge als Referenz, um das Unternehmen zu entwickeln. Langfristig lautet aber weiterhin das Ziel, unsere innovative Produktionstechnologie in der Luftfahrt und Automobilität zu etablieren“, so Borgwardt optimistisch. „Viele Industriebereiche werden in Zukunft stark von ihr profitieren.“
Text: Stephen Dietl, 18.08.2020