Quantentechnologie zugänglicher machen
Die Expertise auf dem Gebiet der Quantenphysik am Innovationsstandort Braunschweig hat es in sich. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt rief vor kurzem sogar ein eigenes Zentrum für die industrielle Entwicklung der Quantentechnologie ins Leben: Am neuen Quantentechnologie-Kompetenzzentrum eröffnen sich die futuristischen Möglichkeiten der Kontrolle über die allerkleinsten Teilchen des Kosmos schon bald auch Start-Ups und mittelständischen Unternehmen.
„Am besten stellt man sich einzelne Teilchen vor, Lichtteilchen (Photonen), Elektronen oder Atome“, erklärt mir Dr. Nicolas Spethmann, Quantenphysiker an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) (Öffnet in einem neuen Tab). „Diese Teilchen lassen sich mit Hilfe der Quantentechnologie gezielt manipulieren. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten.“ Realität werden könnten superschnelle Quantencomputer, abhörsichere Kommunikationskanäle, extrem genaue Atomuhren und vieles mehr. „Die Quantenphysik als solche ist bereits über 100 Jahre alt, und die PTB war maßgeblich an ihrer Entwicklung beteiligt“, so der Braunschweiger Forscher und Leiter des Quantentechnologie-Kompetenzzentrums (QTZ) (Öffnet in einem neuen Tab) auf dem Gelände der PTB. Die Forschung in Braunschweig hat Tradition bis zurück zu Albert Einstein und Max Planck.
Von Atomuhren und Quantencomputern
Die Möglichkeiten konnte man damals nur erahnen – zum Beispiel abhörsichere Kommunikationskanäle, die nicht mehr auf traditionellem Weg mit einem Algorithmus geschützt werden müssen: „Ein Effekt der Quantenphysik ist, dass man etwas schon beeinflusst, wenn man es einfach nur beobachtet“, erklärt mir Dr. Spethmann. „So wird es physikalisch unmöglich, unbemerkt mitzuhören.“ Quantencomputer hingegen könnten Probleme lösen, an denen heutige Supercomputer scheitern. Und noch genauere Atomuhren sind kein Selbstzweck für pünktliche Menschen, sondern könnten Messtechniken in der Metrologie und Geodäsie sowie die gesamte Navigation revolutionieren. Denn laut Einstein vergeht Zeit je nach Gravitationsniveau unterschiedlich schnell. Je genauer eine Uhr, desto präziser also die Feststellung von Höhenunterschieden durch Uhrenvergleich. Die Quantentechnologie könnte dafür Atomuhren am Handgelenk ermöglichen – oder zumindest in einem Koffer statt auf einem LKW.
Doch Quantenphysik erfordert nicht nur seltene Expertise, sondern die auf ihr basierende Quantentechnologie (QT) ist auch sehr teuer, ihre Apparaturen und Bauten oft extrem komplex – so zum Beispiel Komponenten, die das Fangen von einzelnen geladenen Atomen oder Temperaturen unter einem Tausendstel Grad Kelvin ermöglichen. Also nichts, worauf man als frisch gegründetes Start-Up mal eben so Zugriff hat. Dessen sind sich auch die Forschenden an der PTB bewusst, zumal sie ihrerseits auch ein Interesse daran besitzen, dass ihre Forschung eine praktische Anwendung im Alltag der Menschen findet.
Das sich seit 2019 im Aufbau befindliche QTZ soll mit je einem Standort in Braunschweig und Berlin genau diese Lücke füllen und eine praxisorientierte Schnittstelle zwischen Forschung und Wirtschaft bilden. „Wir betreiben an der PTB seit langer Zeit Quantentechnologie und haben das Wissen und die Infrastruktur bereits unter einem Dach“, erklärt mir Dr. Spethmann. „Nun werden wir die für die Wirtschaft relevanten Teile bündeln und nach außen zugänglich machen.“
Innovativ und exzellent
Zu diesem Zweck entstehen am QTZ mehrere Anwenderplattformen und Demonstratoren, also einfach zu nutzende Apparaturen und Messplätze der Quantentechnologie. „Industriepartner können mit uns in Zukunft an diesen Geräten arbeiten, zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Quanten-Magnetometer, Detektoren für einzelne Photonen oder Laser mit extrem stabiler Frequenz“, veranschaulicht Dr. Spethmann. „Die Hersteller können hier dann ihre Ideen und Prototypen ausgiebig testen.“
Doch auch nach erfolgreicher Entwicklung müssen neue Quantentechnologien vor der kommerziellen Herstellung erst noch ausgemessen und ihre Eigenschaften offiziell bescheinigt werden. Ein weiteres Aufgabenfeld des QTZ werden daher Dienstleistungen und Zertifizierungen: „Man muss die genauen Eigenschaften der Komponenten kennen, wenn sie ein marktreifes Produkt werden sollen. Es gibt bisher aber niemanden, der ihre Eigenschaften messen und ein offizielles Datenblatt ausstellen kann“, erklärt mir Dr. Spethmann. "Wir schaffen mit dem QTZ daher eine unabhängige Stelle, die auch Charakterisierungen von QT-Komponenten anbietet.“
Die Einrichtung wird zudem ein Start-Up Center beinhalten, das junge Ideen mit exzellenter Forschung und tatkräftigen Industriepartnern zu vernetzen hilft. „Wir wollen in diesem Zuge auch das grundlegende Verständnis für Quantentechnologie verbessern, denn derzeit gibt es dafür nur wenige Studiengänge“, weiß Dr. Spethmann. So seien auch neue Ausbildungsmöglichkeiten insbesondere für die Industrie in Planung, die Mathematik, Ingenieurswissenschaft und Physik interdisziplinär vereinen. Zu diesem Zweck ist das QTZ im Gespräch mit Industriepartnern und plant auch Kursangebote mit der TU Braunschweig. Natürlich bestehen auch grundsätzlich enge Verbindungen mit der TU sowie den regionalen Exzellenzclustern und Konsortien: „Das ergänzt sich komplementär“, erzählt der Physiker und schwärmt: „Wir profitieren sehr vom exzellenten Umfeld und der Forschung in der Region.“
Text: Stephen Dietl, 26.05.2021