Echte Musik aus der virtuellen Welt
Besonders für die Kultur- und Kreativbranche ist die derzeitige Situation nicht einfach. Doch glücklicherweise wächst aus Notlagen oft etwas Neues: Um die kulturelle Kreativität auch während der Pandemie zu fördern, plant das Protohaus im Rahmen seiner makerAcademy gemeinsam mit dem Verein Aktion Musik / local heroes aus Salzwedel den wohl ersten Musikunterricht in Virtual Reality. Schon bald werden Kinder und Jugendliche in virtuellen Proberäumen miteinander musizieren und eigene Instrumente 3D-drucken.
Das Projekt könnte schon im Sommer den klassischen Musikunterricht enorm bereichern und das gemeinsame Musizieren Pandemie-tauglich machen: „Julia Wartmann von den local heroes (Öffnet in einem neuen Tab) kam bereits vor zwei Jahren mit der Idee zu uns, Musik und neue Technologien zu verbinden“, erinnert sich Constanze Geishauser, Projektmanagerin im Protohaus. „Wir haben dann im Rahmen der makerAcademy gemeinsam einen Workshop für 3D-Druck-Instrumentenbau entwickelt.“ Anlässlich der Pandemie habe man sich im vergangenen Jahr schließlich die Frage gestellt, wie der beeinträchtigte Kulturbereich auch in dieser Situation mit innovativen Formaten rund um die Digitalisierung gefördert werden kann. Herausgekommen ist das Virtual Music Lab.
Durch Musik verbunden
Das Konzept ist so genial wie einfach: Mit 3D-Brillen tauchen vier Jugendliche in ein virtuelles Tonstudio ein und bedienen dort mit ihren Händen virtuelle Instrumente – die dadurch aber echte Klänge erzeugen. Auf diese Weise sind nicht nur der Freiheit und Kreativität bei der Wahl der Instrumente keine Grenzen gesetzt, sondern auch dem Aussehen des Proberaumes oder des eigenen Avatars. Ideal also besonders in Zeiten des Social Distancing, denn die Teilnehmenden müssen theoretisch nicht mal am selben Ort sein.
Das Virtual Music Lab wird genau genommen aus zwei Projekten bestehen: „Wir entwickeln einerseits eine App als virtuellen Proberaum und Tonstudio“, erklärt mir Constanze die Idee, mit der musikalische und technische Kompetenzen Hand in Hand vermittelt werden sollen. „Mit VR-Brillen können die Jugendlichen dann im Digitalen gemeinsam musizieren und Instrumente ausprobieren, sei es in Schulen, bei uns im Protohaus oder sogar von Zuhause aus.“ Als Beitrag zur Chancengleichheit soll die mit Hilfe der Kulturstiftung des Bundes geförderte App am Ende sogar kostenfrei zum Download bereitstehen.
Während sich der Virtual-Reality-Aspekt des Virtual Music Lab aus pädagogischen Gründen erst an Jugendliche ab 13 Jahren richtet, gehen im zweiten Teilprojekt jüngere Kids gleich direkt an die 3D-Drucker: „Für Kinder haben wir gemeinsam mit den local heroes Instrumente entwickelt, die 3D-gedruckte Elemente enthalten und als Bausatz zusammengesetzt und mit nach Hause genommen werden können“, erzählt mir Constanze. „Auf diese Weise werden wir beide Altersgruppen an Musik in Kombination mit neuester Technik heranführen.“
Kreatives Zusammenspiel
Tobias Stelzer ist VR-Spezialist und im interdisziplinären Team des Protohauses für die Entwicklung der App zuständig: „Bis zu vier Schüler setzen sich eine VR-Brille auf, sind dann im selben virtuellen Raum und spielen dort ein Musikinstrument ihrer Wahl. Das werden am Anfang erst mal klassische Musikinstrumente sein wie Klavier, Gitarre, Trompete oder Schlagzeug. Die Teilnehmenden können dann miteinander jammen wie bei einer Bandprobe“, erzählt mir der Programmierer. Und damit es nie langweilig wird, sollen verschiedene Gamification-Ansätze die Möglichkeiten der Technologie voll nutzen: „Wenn Musik gespielt wird, erwacht der virtuelle Raum zum Leben. Je lauter und dynamischer die Musik, desto magischere Dinge passieren, fremde Dimensionen öffnen sich und vieles mehr.“
Doch bis im April der erste Prototyp das Licht der Welt erblickt, sind noch einige technische Hürden zu überwinden. „Wenn sich die Kids nicht im selben lokalen Netzwerk befinden, sondern über langsameres Internet miteinander musizieren, könnte die Latenz, also eine verzögerte Übertragung, zum Problem werden. Denn beim Musikmachen kommt es auf ein genaues Zusammenspiel an“, erklärt mir Tobias eine der vielen Herausforderungen hinter den Kulissen. „Dann müssen wir uns Alternativen ausdenken; zum Beispiel, dass jeder Teilnehmer immer nur ein paar Takte spielt und eine Aufnahme davon an den nächsten schickt, der diese Tonspur dann wiederum mit seinem Instrument bereichert.“ Und so ginge es dann reihum. Apropos Aufnahmen: Sämtliche Töne der in VR spielbaren Instrumente werden nicht synthetisch erzeugt, sondern basieren auf echten Einspielungen von Musikern der local heroes! Eine Mammutaufgabe, die der Verein derzeit parallel zur App-Entwicklung durch das Protohaus übernimmt.
Tobias ist Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik und hatte schon im Studium an der TU Braunschweig (Öffnet in einem neuen Tab) mit Augmented- und Virtual Reality gearbeitet. „So bin ich überhaupt erst dazu gekommen“, erinnert er sich und lobt dabei auch die Braunschweiger Gründerszene: „Es gibt hier einen ausgeprägten Gründer-Geist mit vielen Start-Ups und unter anderen mit dem Protohaus auch einen Ort, an dem man sich ausprobieren kann. Und wenn etwas mal nicht funktioniert, ist man trotzdem schlauer.“ Was auf jeden Fall funktioniert und auch das Virtual Music Lab mit ihren vielen kreativen Köpfen wieder einmal zeigt: Das gewohnt produktive Zusammenspiel der vielen innovativen Player der Region und über sie hinaus.
Text: Stephen Dietl, 12.03.2021