Schöner (und intelligenter) Wohnen
Das Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze an der TU Braunschweig entwickelt Rechnersysteme für Weltraumsonden und Fahrzeuge. Doch es möchte auch das Leben in unseren vier Wänden komfortabler und sicherer gestalten. In der Bochumer Straße wurde zu diesem Zweck ein weltweit einzigartiges Reallabor erschaffen. Sechs intelligente Forschungswohnungen für Studierende beheimaten dort insgesamt 600 kaum sichtbare Minicomputer. Sie helfen nicht nur beim Energiesparen, sondern lassen die Wohnung der Zukunft zu einem diagnostisch-therapeutischen Raum werden.
Von der automatischen Regelung der Raumtemperatur über das Abschalten eines versehentlich angelassenen Herdes und das Erkennen eines Wasserschadens bis hin zur Überwachung der Vitalfunktionen pflegebedürftiger Menschen: Das von der Metropolregion, dem Land Niedersachsen und dem BMWi geförderte Projekt trägt den Namen Intelligente eingebettete Gebäudetechnik und ist eine Kooperation der TU Braunschweig mit den Wohnbaugesellschaften Nibelungen und Wiederaufbau.
Zuerst hört es sich bloß an wie eine komplizierte Version angesagter „Smart Home“-Geräte aus dem Baumarkt zur Steuerung der Waschmaschine vom Fernseher aus. In Wirklichkeit ist es eine grundlegende(R)evolution unserer häuslichen Lebensumstände. Denn es geht nicht darum, zusätzliche Geräte in die Wohnung zu stellen, sondern Häuser von Grund auf an die digitalen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts anzupassen. Und das möglichst langlebig, zuverlässig und mit geringem Stromverbrauch.
Alltäglicher Nutzen aus der Raumfahrt
„Im Hausbau muss die Elektrik mindestens dreißig Jahre lang funktionieren. Also muss unser System auch so lange halten“, erklärt mir Projektleiter Dr. Harald Schrom die größte Herausforderung des Projekts. „Wenn Sie etwas kaufen, gibt es den Anbieter in fünf Jahren vielleicht gar nicht mehr. Also besteht die Kunst darin, Bauteile zu verwenden, die noch für Jahrzehnte auf dem Markt verfügbar sind. Wir lösen Dinge einfacher als üblich, dafür aber auch robuster.“ Und so verstecken sich die Rechner von der Größe eines 2€-Stücks elegant in Steckdosen, Lichtschaltern und Deckenleisten, verbunden über ein simples Telefonkabel.
Im Sinne einer breiten Nutzung steht auch das Thema Energieverbrauch im Fokus. Denn was bringen die besten Anwendungen zur stromsparenden Steuerung von Heizung, Licht und Haushaltsgeräten, wenn die smarte Technik dahinter selbst ein Verschwender ist? „Wir bauen auch Rechner für Satelliten. Dort haben Sie nur ganz wenig Strom. Wir wissen also, wie man energiesparende Systeme entwickelt“, erklärt der Ingenieur augenzwinkernd. Dank dieser Weltraum-Expertise benötigen die 600 Kleinstrechner und der zentrale „Building Manager“ im Keller insgesamt nur 45 Watt – das ist weniger als eine handelsübliche Zimmerlampe.
Ein weiterer Vorteil der voneinander isolierten Anwendungen und der Unabhängigkeit des eingebetteten Systems: Es sei „safe und secure“, versichert mir Dr. Schrom: „Dieselbe Technik wird im Flugzeugbau eingesetzt, wo höchste Sicherheitsanforderungen bestehen.“ Zudem funktioniere alles unabhängig vom Internet. Zwar gebe es Schnittstellen zur Steuerung durch den Bewohner sowie die Möglichkeit zur Kommunikation nach außen, beispielsweise zum Stromversorger als Teil eines intelligenten Stromnetzes. Doch grundsätzlich läuft das System vollkommen autark von der Außenwelt. „Es darf schließlich nicht passieren, dass eine App ein Update zieht und plötzlich geht die Heizung nicht mehr“, veranschaulicht Dr. Schrom.
Junge Technik für eine alternde Gesellschaft
Die vielen praktischen Funktionen des Systems – vorwiegend von Studierenden als Bachelor- und Master-Arbeiten entwickelt und anschließend im alltäglichen Betrieb in der Bochumer Straße erprobt – werden inzwischen auch fortlaufend ergänzt durch Innovationen mit gesamtgesellschaftlicher Perspektive: Ambient Assisted Living (AAL) und Assistierende Gesundheitstechnologien (AGT) nennt sich ein Konzept, das Wohnen in einer alternden Gesellschaft zum Thema hat und in Zusammenarbeit mit dem Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und MH Hannover entwickelt wird.
Laser erkennen eine gestürzte Person und alarmieren den Notdienst. Sensoren im Bett geben Aufschluss über den Schlafrhythmus. Statistiken zum Wasserverbrauch oder den Laufzeiten der Waschmaschine ermöglichen Rückschlüsse, ob eine Person noch selbständig eine Körperhygiene pflegt oder Hilfe benötigt. Sogar eine beginnende Demenz lässt sich mit der intelligenten Kombination von Messwerten und statistischen Methoden erkennen. Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie zukunftsweisend. Denn sie erlauben es Menschen, länger in den eigenen vier Wänden zu leben und somit ein höheres Maß an Autonomie und Würde bis ins hohe Alter zu bewahren.
Text: Stephen Dietl