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Schwindelfrei zum Digitalen Zwilling

Am bundesweiten Digitaltag, dem 24. Juni 2022, ist die Stadt Braunschweig ihrem Leitbild als „Smart City“ einen weiteren Schritt näher gekommen. Denn seitdem ist das 3D-Stadtmodell online, mit dem Bürger:innen, Unternehmen und Verwaltung unsere Löwenstadt aus der Vogelperspektive erkunden und vermessen können. Doch das soll erst der Anfang sein.  

Auf Wunsch lassen sich Details wie Parkplätze, Bushaltestellen oder E-Ladepunkte anzeigen.© Screenshot / Stadt Braunschweig

Wer wissen möchte, wie das 3D-Stadtmodell (Öffnet in einem neuen Tab) funktioniert, probiert es am besten selbst aus oder sieht sich zunächst einmal das Einführungsvideo (Öffnet in einem neuen Tab) an, in dem die wichtigsten Funktionen erklärt werden. Die Browser-Anwendung, die auf PC, Tablet und Smartphone gleichermaßen funktioniert, ermöglicht virtuelle Rundflüge über ein dreidimensional dargestelltes Braunschweig. Dabei lassen sich die grafischen Oberflächen verändern, von einer typischen 2D-Stadtkartenansicht hin zu modellierten grauen Baukörpern oder gar Texturen, die eine fotorealistische Darstellung von Gebäuden, Straßen und Plätzen in 3D bieten. Neben der Veränderung von Neigungswinkel und Zoom-Level bieten verschiedene Einstellungen und Werkzeuge weitere Funktionen. So kann etwa der Schattenwurf der Gebäude für jeden Tag des Jahres zu einer gewünschten Uhrzeit simuliert werden. Faszinierend ist außerdem das Erstellen eines Höhenprofils: Dafür zieht man eine Linie über das Luftbild, woraufhin für diese Strecke eine Höhenkurve angezeigt wird. Praktisch genauso funktioniert auch die Messung von Distanzen und Abständen. Klickt man auf ein beliebiges Gebäude, wird außerdem die Höhe und die Größe der Dachfläche angezeigt.

Wie für dieses Wohnhaus im Norden Braunschweigs lässt sich für jedes Gebäude im 3D-Stadtmodell die relative Gebäudehöhe und die Dachfläche anzeigen.© Screenshot / Stadt Braunschweig

Wer das 3D-Stadtmodell sieht, muss zunächst unweigerlich an Google Earth denken. Entwickelt wurde das Tool allerdings nicht im Silicon Valley, sondern in der Braunschweiger Stadtverwaltung, genauer gesagt in der Abteilung Geoinformation. Axel Teschke ist Leiter der Abteilung, die das ehrgeizige Projekt umsetzt. Dem Vermessungsingenieur sind die Vergleiche mit der App des Internetriesen natürlich bekannt. „Es gibt Leute, die schreiben: ‚Das gibt es bei Google auch‘“, berichtet er. „Das stimmt auch, aber das ist nochmal eine andere Welt. Bei unserem 3D-Stadtmodell reden wir über geometrische Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Aktualisierung der Daten. Das ist der große Unterschied zur Google-Welt.“ Teschke und seine Abteilung haben nicht den Anspruch, den ganzen Planeten abzubilden und sehen sich auch nicht als Konkurrenz zu Google. Was aber die Darstellung und Nutzbarkeit der exakten 3D-Daten für die Stadt Braunschweig angeht, da wollen die Geoinformatiker aus der Stadtverwaltung dann doch die Nase vorn haben.

Mittels einer Split-Funktion kann das Stadtmodell aufgeteilt werden in Bereiche mit und ohne Texturen und Straßennamen.© Screenshot / Stadt Braunschweig

Braunschweiger Modell weitgehend autark

Die Idee, die eigene Stadt als 3D-Modell für alle frei zugänglich ins Netz zu stellen, wurde nicht in Braunschweig geboren. „Andere Kommunen sind schon weiter, andere hinken noch deutlich hinterher. Aber gegenüber vergleichbaren Städten sind wir schon wirklich gut dabei“, beschreibt Thomas Steinbick, Projektleiter in der Abteilung, wie gut er Braunschweig in Sachen 3D-Stadtmodell aufgestellt sieht. Vorreiter seien allerdings Großstädte wie Hamburg oder München, die für ihre Smart-City-Bestrebungen ganz andere Ressourcen an der Hand hätten. „Aber natürlich gibt es interkommunalen Austausch: Man spricht miteinander, trifft sich zu Veranstaltungen, redet über die eingesetzte Software. Da nimmt man natürlich auch ein paar Ideen mit und schaut, wie sie in die eigene Struktur passen und wie sie sich umsetzen lassen“, erläutert der Leiter des Sachgebiets Geodatenservice die Zusammenarbeit unter den Kommunen. Auch Teschke spricht von einem „regen Austausch“, der auch nötig und sinnvoll sei. „Man sollte das Rad nicht zweimal erfinden, das macht keinen Sinn“, sagt er und verweist im Zuge dessen auch auf einen schonenden und zielführenden Einsatz von Steuergeldern. Teschke stellt aber auch klar: „Wir können andere Lösungen allerdings auch nicht einfach kopieren. Denn wir sind Braunschweig – und wir müssen Fragen beantworten, die in Braunschweig gestellt werden.“

Am 3D-Stadtmodell lassen sich verschiedene Einstellungen hinsichtlich der Gebäude- und Bodentexturen vornehmen.© Screenshot / Stadt Braunschweig

Steinbick ist es wichtig, auf die Autarkie der Braunschweiger Software hinzuweisen: „Wir können das Stadtmodell selbst führen und sind, etwa bei der Datenerstellung oder der Texturierung, nicht auf Zulieferung von außen angewiesen.“ So sei die Abteilung etwa in der Lage, aus den hochauflösenden Luftbildern, die alle drei Jahren bei Bildflügen über der Stadt gewonnen werden, selbst die Daten abzuleiten und bei Bedarf immer wieder flexibel anzupassen. „Andere müssen dafür einen externen Dienstleister zwischenschalten, der viel Geld kostet und eine große Abhängigkeit schaffen kann“, ergänzt Teschke, der versucht, möglichst viel mit dem Know-how in der eigenen Abteilung umzusetzen. Teschke, das merkt man, ist stolz auf die Fähigkeiten seines Teams. „Aber man muss trotzdem auch mal etwas einkaufen, man kann nicht alles selbst machen“, stellt der 46-Jährige klar.

Mittels einer über die Karte gezogenen Linie kann man im 3D-Stadtmodell ein Höhenprofil erstellen. Dieses hier beschreibt eine Strecke vom Franzschen Feld über den Nussberg bis kurz vor Riddagshausen.© Screenshot / Stadt Braunschweig

Visualisieren und Vernetzen

Aber was wird mit dem 3D-Stadtmodell eigentlich konkret angestrebt? „Wir wollen mit dem Modell eine neue Dimension der Visualisierung und eine Prozessverbesserung in den einzelnen Organisationseinheiten der Verwaltung erreichen. Wir wollen die Geodaten in die dritte Dimension bringen und auf diesem Wege allen zur Verfügung stellen“, erklärt Teschke grundsätzlich. „So haben alle Kollegen die Möglichkeit, ihre Projekte dreidimensional zu planen und ihre Planungen“, etwa in den Bereichen Städtebau, Verkehr oder Klimaschutz, „in Ausschüssen oder in Bürgerversammlungen entsprechend zu präsentieren.“ Viele Menschen haben Schwierigkeiten, sich klassische stadtplanerische Darstellungen vorzustellen, „aber mit Hilfe eines 3D-Modells kann sich jeder etwas darunter vorstellen“, so Teschke weiter. Doch nicht nur die Stadtverwaltung selbst, sondern auch Bürger:innen und Unternehmen, etwa Architektur- und Ingenieurbüros, könnten mit dem Modell ihre Projekte planen.

Gerade in der eher funktionalen Optik ohne Fototexturen macht das 3D-Stadtmodell durchaus Lust, sich selbst als Stadtplaner auszuprobieren.© Screenshot / Stadt Braunschweig

Das 3D-Stadtmodell, wie es jetzt öffentlich nutzbar ist, soll allerdings erst der Anfang sein. „Wir arbeiten daran, unser Modell zu einem urbanen Digitalen Zwilling weiterzuentwickeln – zu einem dynamischen, virtuellen und interaktiven Abbild der Stadt mit gemeinsamer Stadtdatenplattform, die von Expert:innen und Bürger:innen genutzt werden kann“, sagt Teschke und erklärt, was es mit diesem Doppelgänger auf sich hat: „In einer großen Verwaltung oder einem Konzern gibt es wegen der Vielfältigkeit der Aufgaben überall Daten. Nicht immer ist jedem bekannt, welche Daten an anderer Stelle aufgrund anderer Fragestellungen bereits vorliegen. Manchmal sind sie schon digital, manchmal noch analog. Diese ,Datensilos’ wollen wir miteinander vernetzen und gezielt für die verschiedensten Aufgabenstellungen und Simulationen zur Verfügung stellen. Geodaten sind dabei die Basis für die Visualisierung und Vernetzung der verschiedensten Daten und Informationen in einer Stadt. Und in Richtung einer solchen Vernetzung wollen wir uns entwickeln.“

Der Digitale Zwilling ist laut Teschke ein „ganz wesentlicher Bestandteil der Smart-City-Strategie der Stadt Braunschweig. Das 3D-Stadtmodell ist seine geometrische Basis, in die wir unter Berücksichtigung des Datenschutzes die verschiedensten Eigenschaften, Daten und Parameter integrieren wollen“, wirft Teschke einen Blick voraus. Dies könnten beispielsweise Sensor- und Echtzeitdaten aus den Bereichen Wetter, Lärm oder Verkehr sein. Möglichkeiten für Experimente und kreative Features gebe es noch viele, ist sich der Leiter der Abteilung Geoinformation sicher: „Wir sind immer offen für Ideen, und es wird noch eine ganze Reihe neuer Inhalte geben, die wir ins Stadtmodell aufnehmen werden.“ Spätestens dann dürften sich auch die Vergleiche mit Google Earth endgültig erledigt haben.

Text: Christoph Matthies, 26.09.2022


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