WLANisierung in Braunschweig
Mit vereinten Kräften der digitalen Zukunft entgegen: Das Konzept der Stadt Braunschweig zum Aufbau eines öffentlichen und kostenlosen Internetzugangs steht auf zwei Säulen. Neben der Zusammenarbeit mit dem regionalen Energieversorger unterstützt die Verwaltung das Engagement tatkräftiger Bürger.
Ist die Bundesrepublik Deutschland eine Internet-Wüste? Zu einem derart vernichtenden Urteil würden sich wohl die wenigsten hinreißen lassen. Tatsache ist aber, dass die Anzahl der öffentlichen Zugangspunkte zu kabellosem Internet (WLAN) hierzulande weit unter dem Pro-Kopf-Durchschnitt vieler anderer Länder liegt. „Deutschland ist in dieser Hinsicht ein relatives Entwicklungsland. Da gibt es noch viel zu tun“, stellt der Braunschweiger Marco Töpke der Netzabdeckung kein gutes Zeugnis aus. Der leidenschaftliche Freifunker blickt mit Sorge auf die Zukunftsfähigkeit des vermeintlichen Hochtechnologielandes – und arbeitet in seiner Heimatstadt eifrig daran mit, den WLAN-Rückstand aufzuholen.
Die Löwenstadt wurde glücklicherweise schon vor einigen Jahren aktiv. Es war im Jahr 2014, erinnert sich Maik Trescher, als ein Auftrag des Rates der Stadt an die Verwaltung erging, ein öffentliches WLAN-Netz aufzubauen. Zunächst einmal in der Innenstadt. Trescher, Leiter der städtischen Stabsstelle Wirtschaftsdezernat, gibt offen zu, dass er von der Idee im ersten Moment alles andere als überzeugt war: „Am Anfang dachte ich: Das braucht kein Mensch.“ Es waren vor allem Diskussionen mit Jugendlichen, die ihn seine Meinung schon bald ändern ließen. Gerade junge Leute verfügen häufig über begrenzte finanzielle Mittel und haben deshalb auf ihrem Smartphone oder Tablet nur wenig Datenvolumen oder gar nur einen Prepaid-Zugang – darum sind vor allem sie es, die von freiem WLAN profitieren. „In diesen Gesprächen habe ich gemerkt, dass ich Unrecht hatte“, erinnert sich Trescher und erläutert seinen Sinneswandel: „Um eine digitale Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden, ist es wichtig, solche kostenlosen Angebote vorzuhalten.“ Heute sieht der 52-Jährige in Gratis-WLAN an öffentlichen Orten einen durchaus wichtigen Standortfaktor.
Freies Surfen in der City
Damals machte sich Trescher daran, ein Konzept zu erstellen, um den Ratsauftrag umzusetzen – und fand in BS|Energy einen „sehr guten Partner“, wie er betont. Der Energieversorger und Netzbetreiber kümmerte sich um die Zugangs-Infrastruktur in der Innenstadt und beauftragte die Firma htp, als Internet-Serviceprovider tätig zu werden. Im August 2016 ging es auf Schlossplatz und Kohlmarkt mit den ersten Zugangspunkten („Hotspots“) los, heute ist praktisch die gesamte Braunschweiger Innenstadt mit öffentlichem WLAN versorgt – und das für die Stadt Braunschweig fast zum Nulltarif, da bis auf wenige organisatorische Ausgaben sämtliche Ausbaukosten von BS|Energy übernommen wurden. Das BS|HotSpot-Netz in der City besteht aktuell aus 23 Zugangsantennen, die den Braunschweigern und ihren Gästen erlauben, an öffentlichen Plätzen kostenlos und werbefrei mit einer Geschwindigkeit bis 100 Mbit/s zu surfen, zu chatten oder auch zu arbeiten.
Mit der Werbefreiheit könnte es indes bald vorbei sein. „Man kann die Kuh nicht immer nur melken, aber nie füttern“, gibt Trescher zu bedenken, weswegen der Hotspot-Sponsor plant, Anzeigen im Display einzublenden. Zudem stimme man sich eng mit dem Unternehmen ab, wenn es darum gehe welche Geschäftsmodelle, etwa bei der Verwertung anonymisierter Bewegungsprofile, realisierbar wären. „Wenn BS|Energy damit Geld verdienen kann, hoffen wir, dass auch weitere Bereiche mit öffentlichem WLAN ausgestattet werden können“, hofft Trescher auf eine Win-Win-Situation. Ein mögliches zukünftiges Projekt wäre zum Beispiel der Bahnhofsvorplatz. Doch bei allen Überlegungen über Geschäftsmodelle und Refinanzierung stellt der städtische Beamte eines klar: Das öffentliche WLAN in der Innenstadt bleibt für die Nutzer kostenfrei!
Freifunk in der Peripherie
Mit den Hotspots zwischen Schild und Bankplatz, Eiermarkt und Staatstheater war es allerdings nicht getan. Schon bald kam die Forderung aus der Politik, auch die Stadtbezirke mit öffentlichem WLAN auszustatten und hierzu die Freifunkaktivitäten zu fördern. Hier kommt Marco Töpke ins Spiel. Der engagierte Freifunker bot der Stadt seine Unterstützung an. Der Vorschlag des Broitzemers, der in der dortigen Freiwilligen Feuerwehr aktiv ist, lautete, die in den Stadtteilen vorhandenen Feuerwehr-Gerätehäuser mit Freifunk-Routern, sogenannten Knoten, auszustatten. „So hat man überall in der Stadt fußläufig einen Zugangspunkt, an dem man ins Netz kommen kann“, erklärt der 47-Jährige seine Grundidee, von der er die Verwaltung überzeugen konnte. Erfahrungen hatte Töpke erst kurz zuvor gesammelt, als er fünf Freifunk-Router, gefördert durch Mittel des Landes Niedersachsen, an öffentlichen Orten in Broitzem installiert hatte.
Mitte Dezember 2019 war es offiziell. „Durch einen überschaubaren Einsatz von städtischen Mitteln wird es möglich sein, im Laufe des kommenden Jahres an über 30 Standorten im Stadtgebiet kostenlos und einfach im Internet zu surfen“, verkündete Wirtschaftsdezernent Gerold Leppa die Unterstützung des Freifunks mit einem Zuschuss von 3.450 Euro. Das Geld ging vollständig in die Hardware, nämlich in 30 Freifunk-Router für die Gerätehäuser in den Stadtteilen. Der Aufbau der Knoten war bereits kurz nach dem Jahreswechsel abgeschlossen, rund 120 Planungs- und Arbeitsstunden hatte Töpke ehrenamtlich investiert. Seitdem gibt es in jedem Ortsteil, wo es eine Feuerwehr gibt, kostenloses Internet. „Da die DSL-Anschlüsse für den Dienstbetrieb der Feuerwehr eh vorgehalten werden müssen, entstehen keine zusätzlichen laufenden Kosten“, erklärt Töpke.
Projekt mit Signalwirkung
Von einer hundertprozentigen Abdeckung mit kostenlosem öffentlichen WLAN ist die Stadt Braunschweig trotz der beiden Säulen BS|Hotpot und Freifunk freilich immer noch weit entfernt. „Es ist nicht so, dass man mit einem Freifunk-Knoten einen ganzen Stadtteil bestrahlt. Die Reichweite liegt bei rund 50 Metern um ein Gebäude herum“, weiß Töpke. Deshalb könne man „mit den 30 Knoten logischerweise nicht die ganze Stadt abdecken“. Maik Trescher betont, dass es zunächst erst einmal wichtig sei, die besonders belebten Orte im gesamten Stadtgebiet mit frei verfügbarem WLAN auszustatten. So sei das Projekt von dem Wirtschaftsdezernat nicht zuletzt auch deshalb unterstützt worden, um andere Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen zu animieren, eigene WLAN-Router aufzustellen – mit dem langfristigen Ziel, irgendwann ein wirklich flächendeckendes Freifunk-Netz zu errichten. Und das scheint zu funktionieren, denn immer mehr Knoten erscheinen auf der Braunschweig-Karte. Trescher unterstreicht, dass sich auch die Bezirksräte jederzeit mit eigenen Freifunk-Konzepten an die Verwaltung wenden und mit Unterstützung rechnen können.
Initiativen und Projekte wie jene in Braunschweig gibt es mittlerweile in vielen deutschen Städten und Kommunen. Die Unterstützung von Unternehmen und die Tatkraft vieler Bürger helfen dabei, den Radius der öffentlichen WLAN-Abdeckung zu erweitern „Ich kann dazu beitragen, den Rückstand, den wir in Sachen Internet haben, aufzuholen“, nennt Marco Töpke seine Motivation und spricht damit für viele tausend Freifunker in der Republik, die ohne Gewinnabsicht angetreten sind, um unzählige Zugangs-Oasen zu schaffen. Und auch in Politik und Verwaltung ist das Bewusstsein für die Bedeutung von flächendeckendem kabellosem Netzzugang im Sinne digitaler Teilhabe längst gegenwärtig. Maik Trescher, der mit seinem Team auch für den Breitbandausbau zuständig ist, bringt es auf den Punkt: „Falls es heute nicht bereits der Fall sein sollte, so bin ich doch sicher, dass die Versorgung mit Internet irgendwann zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören wird.“
Text: Christoph Matthies, 20.05.2020
Weitere Informationen
Was ist Freifunk?
Die dezentral organisierte und gemeinnützige Initiative Freifunk hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Abdeckung mit kostenlosem Internet im öffentlichem Raum zu erhöhen. Dazu werden WLAN-Router verwendet, deren offenes, unzensiertes und unverschlüsseltes Netz ohne Anmeldung von jedermann genutzt werden kann. Wie viel seiner eigenen Bandbreite man für die Öffentlichkeit freigeben möchte, kann jeder Freifunk-Anbieter selbst entscheiden. Die Initiative ist community-basiert, die regionalen Gruppen und Vereine setzen auf ehrenamtliche Mitarbeiter und Spenden. Auftrieb erhielt der Freifunk in Deutschland durch eine Gesetzesänderung zur „Störerhaftung“ im Oktober 2017. Seitdem können WLAN-Anbieter nicht mehr für rechtswidriges Verhalten der Nutzer verantwortlich gemacht werden. Informationen zum Braunschweiger Freifunk-Projekt und wie man mitmachen kann, gibt es unter freifunk-bs.de.
Öffentliche WLAN-Hotspots in Braunschweig
In der Innovationskarte erhalten Sie in der Rubrik "Infrastruktur" eine Übersicht über alle frei verfügbaren BS|HotSpots und Freifunk-Knoten.