Wollmarkt - Alte Waage
Die alte Neustadt
Das straßenförmige Platzgefüge Wollmarkt-Alte Waage mit der Andreaskirche (1) bildet das Zentrum der Neustadt, eines der fünf Weichbilder der mittelalterlichen Gruppenstadt. Nach Westen gingen ursprünglich drei Straßen ab, die am Radeklint zusammenliefen (Dreistrahl). Die mittlere dieser Straßen, die Weberstraße, zielt genau auf die mächtige Turmfront der Kirche.
Die in dieser Form planmäßig angelegte Neustadt wurde Ende des 12. Jahrhunderts mit der Altstadt und dem Hagen durch eine gemeinsame Wehrmauer zusammengefasst.
Die östliche Begrenzung von Wollmarkt-Alte Waage weitet sich zur Mitte hin deutlich auf. Im Scheitel dieses Bogens springt der Kirchenbau kräftig vor und gliedert den Raum. An den Schmalseiten schloss die Bebauung die Räume und schuf zugleich Übergänge zur Stadtbefestigung im Norden und zur Altstadt im Süden (heute verändert). Das freistehende Waaghaus der Neustadt war mit der Kirche und der sie umgebenden Fachwerkbebauung das Sinnbild für das »alte« Braunschweig.
Nach der Zerstörung der Neustadt im Zweiten Weltkrieg erfolgte der Wiederaufbau an Wollmarkt-Alte Waage in schlichten Formen, nördlich der Kirche z.T. im alten Maßstab. Der Nachbau des Waaghauses (3) wurde 1994 eingeweiht.
Lage
Der Wollmarkt in Geschichte und Gegenwart
Wollmarkt und Alte Waage
Die Neustadt, eines der fünf Weichbilde (Teilstädte) des mittelalterlichen Braunschweig, wurde in ihrer Grundrissstruktur um 1200 angelegt und in die Stadtbefestigung einbezogen. Der charakteristische Straßendreistrahl ging ursprünglich vom Radeklint aus und zielt auf Wollmarkt und Alte Waage. Die Perspektive durch die mittlere dieser Straßen (Weberstraße) auf die Turmfassade der Andreaskirche gehörte zu den eindrucksvollsten mit kleinteiliger Fachwerksubstanz gesäumten Stadtbildern im alten Braunschweig.
Die Platzfolge Wollmarkt - Alte Waage bildet das Zentrum der Neustadt. Der Wollmarkt stellt als straßenförmiger Markt eine Besonderheit im städtebaulichen Gefüge dar – andere Marktplätze wie Altstadtmarkt und Hagenmarkt zeigen eine rechteckige Form.
Während die westliche Platzfront fast gerade verläuft, bildet die östliche Seite einen flachen Bogen. Hier springt der wuchtige Westbau von St. Andreas vor und gliedert die Platzfolge in zwei Abschnitte. Eine städtebauliche Besonderheit ist die Platzierung der Alten Waage freistehend seitlich des Turmwerks – damit entsteht ein spannungsvoll gegliederter Stadtraum. Im Norden des Wollmarktes befand sich das Neustadttor.
In der Neustadt hatte sich das historische Stadtbild mit seinen überaus zahlreichen Fachwerkbauten bis zur völligen Zerstörung durch Bombenangriffe 1944 besonders gut erhalten. Daher ist der Verlust an stadthistorischer Gestaltqualität hier besonders gravierend. Im Zuge des Wiederaufbaus versuchte man, die Proportionen der Platzfolge mit schlichten und schmucklosen Gebäuden der 50er Jahre zu wahren. 1991-1994 erfolgte der Wiederaufbau der Alten Waage als moderner Bau mit historisch anmutender Außengestaltung.
Pfarrkirche St. Andreas
Die Geschichte der Pfarrkirche in der Neustadt reicht bis in die Zeit um 1150 zurück. Vor der planmäßigen Anlage der Neustadt ab 1200 bestand hier eine Siedlung mit einer kleinen Kirche. Sie war wie eine der Dorfkirchen in der Umgebung Braunschweigs angelegt.
Der heutige Kirchenbau wurde nach 1230 als romanische Basilika begonnen, Vorbilder waren Dom und St. Martini. Ein halbes Jahrhundert später begannen die Arbeiten am Turmwerk im Westen und der Umbau zur gotischen Hallenkirche. Während das Kirchenschiff bis 1419 vollendet werden konnte, wurde der Baubetrieb an der unvollendeten Doppelturmfassade 1544 eingestellt. Der Südturm war seinerzeit mit 122 Meter Höhe für wenige Jahre einer der höchsten deutschen Kirchtürme – bis die Turmspitze durch ein Unwetter zerstört wurde. Heute ist dieser Südturm mit der 1742 errichteten Barockhaube der höchste Kirchturm Braunschweigs und ein Wahrzeichen der Stadt.
Das Äußere der Andreaskirche zeigt neben gotischen Maßwerkfenstern und Strebepfeilern einen Giebelkranz mit Krabben und Kreuzblüten. An den südlichen Giebeln sind Episoden aus dem frühen Leben Jesu Christi dargestellt: Anbetung der Könige, Flucht nach Ägypten, Kindermord von Bethlehem und Jesus im Tempel.
Der Wiederaufbau nach den Beschädigungen des Zweiten Weltkrieges konnten 1955 mit der Rekonstruktion der Barockhaube äußerlich abgeschlossen werden. Seit dem Jahr 2000 kann der Südturm über 389 Stufen bestiegen werden – er bietet eine unvergleichliche Aussicht über Braunschweig und seine Umgebung.
Alte Waage
Die heutige Alte Waage ist eine Rekonstruktion des durch Bombenangriffe 1944 zerstörten „Originals“ aus dem Jahr 1534. Ihr Wiederaufbau erfolgte nach langen Diskussionen 1991-1994 als Sitz der Volkshochschule Braunschweig. Auch die ursprüngliche Alte Waage hatte vor ihrem Verlust mehrere Restaurierungsphasen hinter sich. Nachdem sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Stil des Historismus verändert wurde, kam es 1937-1939 zu einer erneuten Sanierung für die Nutzung als Heim für die Hitlerjugend.
Das freistehende Gebäude war und ist der größte Fachwerkbau Braunschweigs. Seine Konstruktion zeigt die Stockwerksbauweise mit allseitig vorkragenden Obergeschossen. Im hohen Erdgeschoss sind eine Durchfahrt und weitere Toröffnungen für die ursprüngliche Nutzung als Waaghaus und Speicher angelegt, in den Stockwerken finden sich Ladeluken.
In der Gesamtwirkung spiegelt die Alte Waage noch den Baustil der späten Gotik wieder, die Ornamente zeigen den Einfluss früher Renaissanceformen. Sie ist ein schönes Beispiel für einen großen Speicherbau, wie wir sie vor allem aus den süddeutschen Reichsstädten, aber auch aus den norddeutschen Hansestädten kennen.
Liberei
Im Schatten von St. Andreas befindet sich eines der bemerkenswertesten Baudenkmäler Braunschweigs: die Liberei. Es handelt sich um ein ursprüngliches Bibliotheksgebäude (lat. liber = Buch) – und um die älteste freistehende Bibliothek nördlich der Alpen. Außerdem ist das kleine Bauwerk einziges authentisches Zeugnis der norddeutschen Backsteingotik in der Löwenstadt.
Die Liberei wurde 1412 von dem Gemeindepfarrer Johann Ember gestiftet. Der Bau zog sich aufgrund von Streitigkeiten unter den Geistlichen der Stadt über ein Jahrzehnt hin. Nach schwerer Beschädigung im Zweiten Weltkrieg erfolgte der Wiederaufbau, der erst 1985 mit der Einwölbung des historischen Bibliotheksraums abgeschlossen war. Als Schöpfer des Bauwerks ist ein Meister Heinrich aus Lüneburg überliefert. An der Südfassade sind Löwenreliefs sowie die Wappen des Herzogtums, der Stadt und des Pfarrers Ember angebracht.
Der Bibliotheksraum war mit Wandschränken und Pulten ausgestattet, in denen die kostbaren handgeschriebenen Bücher angekettet waren. Im Jahr 1494 zählte die Bibliothek 356 Bände, von denen heute noch einige in der Stadtbibliothek aufbewahrt werden.