Sammlung Außereuropäische Ethnologie
Ethnografische Sammlung
Die ethnografische Sammlung des Städtischen Museums Braunschweig spiegelt den grundlegenden Charakter des Mehrspartenhauses. 1861 aus einer Bürgerinitiative hervorgegangen, deren Ziel es war, „erhaltenswerten Gegenständen“ im Herzogtum zusammenzutragen, ist der Lokalbezug ein wichtiges Element geblieben. Gerade dieser Lokalbezug der ethnografischen Sammlung ist aber auch ein Spiegel der globalen Vernetzungsgeschichte Braunschweigs.
Artefakte aus der nicht-europäischen Welt fanden in diesem Zusammenhang erstmals 1865 Erwähnung. Zunächst noch als „Merkwürdigkeiten“ bzw. „Varia“ betrachtet, kristallisierte sich ab den 1870er-Jahren ein eigenständiger ethnografischer Sammlungsschwerpunkt heraus, der vor allem zwischen 1893 und 1917 gezielt ausgebaut wurde. Diese Phase ist auf das Engste mit zwei in der ethnologischen Fachtradition ihrer Zeit fest verankerten Persönlichkeiten verknüpft: Richard Andree und Otto Finsch. Heute umfasst die ethnografische Sammlung knapp 9.000 Objektnummern. Zahlenmäßig besonders ausgeprägte regionale Schwerpunkte bilden Afrika mit ca. 3.000 Nummern sowie Indonesien und Ozeanien mit jeweils ca. 1.500 Nummern. Die Sammlung enthält aber auch Raritäten aus anderen Weltgegenden. Unter diesen sind insbesondere jene hervorzuheben, die von Braunschweiger Leihsoldaten, die zwischen 1776 und 1783 aufseiten der Briten im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kämpften, mit nach Hause gebracht wurden. Die Sammlung ist heute die größte ihrer Art.
Unter den Persönlichkeiten, die die ethnografische Sammlung des Museums mit nennenswerten Beiträgen nachhaltig prägten, ist allen voran der Händler Carlos Götting hervorzuheben. Dieser Braunschweiger, der es in Südamerika zu Reichtum bracht hatte und zwischen 1875 und 1877 ausgiebig die Welt bereiste, vermachte dem Museum nicht nur eine ca. 1500 Nummern umfassende Objektsammlung und ein Konvolut von ca. 2500 Foto, die er während seiner Reisen gesammelt hatte. Er spendete auch einen beträchtlichen Geldbetrag, der einen wesentlichen Anstoß zum Bau des gegenwärtigen Museumsgebäudes gab. Weitere nennenswerte Teilsammlungen und Einzelbeiträge kamen über frühe Gelehrte und weitere Braunschweiger Persönlichkeiten, die es in die Welt gezogen hatte. Zu diesen gehörten etwa Gerhard Krefft, der sich in Australien als Forscher einen Namen machen konnte oder die Steinwegs (Steinways), die es nach ihrer Übersiedlung nach New York 1850 als Klavierproduzenten zu Weltruhm brachten. Einem Spross dieser Familie, Theodor Steinweg, verdankt das Museum das heute älteste indianische Rindenkanu Europas.
Wie alle ethnografischen Sammlungen, erfuhr auch der Braunschweiger Bestand zurzeit der aktiven deutschen Kolonialperiode (1884-1919) eine Phase des exponentiellen Wachstums. Mit dieser sind Sammlungen von Persönlichkeiten wie etwa Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg-Schwerin verknüpft, der von 1907 bis 1913 Regent des Herzogtums Braunschweig war. Als Vorsitzender der Deutschen Kolonialgesellschaft hatte er die deutsche Kolonialpolitik aktiv mitgestaltet und die Welt bereist. Auf ihn geht eine ca. 500 Nummern umfassende Sammlung mit Stücken aus Südostasien zurück. In diese Kategorie gehören aber auch jene ca. 700 Nummern, die auf den Braunschweiger Kurt Strümpell zurückgehen. Dieser hatte zunächst als Offizier in der deutschen Kolonie Kamerun an Strafexpeditionen aktiv teilgenommen und sich später als leitender Kolonialpolitiker einen Namen gemacht. Die Erwerbskontexte seiner Sammlung sind derzeit Gegenstand intensiver Forschung im Rahmen des PAESE-Projekts. Diese Forschungstätigkeit steht dafür, dass sich das Städtische Museum dezidiert der kritischen Aufarbeitung der kolonialen Bezüge ihrer ethnografischen Bestände verpflichtet fühlt. Diese Haltung findet ihren Niederschlag auch in der Neukonzeption der ethnologischen Dauerausstellung, die 2022 eröffnet werden soll.