Karlstraße 90 - Kiosk
Am 30. April 2023 ging in der Karlstraße eine Ära zu Ende: Der seit vielen Generationen bekannte und beliebte Kiosk in der Karlstraße 90 Ecke Waterloostraße, (zuletzt unter der Führung von Andrea Große), schloss leider für immer sein Fenster.
Hier möchte ich den Bericht von Henning Thobaben aus der Braunschweiger Zeitung hinzufügen über die letzte Betreiberin Andrea Große:
"Wie lange es den Kiosk in der Karlstrasse schon gibt? Andrea Große ist sich nicht sicher. Sie weiß nur, dass der Vorbesitzer den Laden in der Braunschweiger Karlstraße 27 Jahre lang geführt hat. Und dass es davor auch schon ein Kiosk gewesen sein muss. Denn sie selbst hat ihre Kindheit im Östlichen Ringgebiet verbracht und als kleines Mädchen so manche bunte Tüte an jenem Ort gekauft, an dem sie heute selbst ihren Lebensunterhalt verdient. Es war Anfang 2016, als Andrea Große Kioskbetreiberin wurde. Sie war arbeitssuchend, nicht zum ersten Mal. Zweimal hatte sie im Laufe der Jahre ihren Job verloren, einmal hatte sie zudem selbst die Kündigung eingereicht. Doch als gelernte Einzelhandelskauffrau hatte sie ihre Erfahrungen gemacht– unter anderem als Marktleiterin in einem Discounter und als Chefin einer Bäckereifiliale. Dass für den Kiosk ein Nachfolger gesucht wurde, hatte sie von einer Freundin erfahren, die gleich um die Ecke wohnt. Sie überlegte.„In dem Alter eine Anstellung zu finden, ist nicht leicht“, sagt die heute 52-Jährige. Und als gelernte Kraft habe sie auch nicht für den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,84 Euro pro Stunde arbeiten wollen. Die Entscheidung fiel letztlich schnell: Das Abenteuer Kiosk sollte beginnen.. Dass die Entscheidung gut war, sollte sich bald herausstellen. Rund 75 Prozent ihrer Kunden seien Stammkunden, schätzt Andrea Große. Viele kämen seit Jahren und hätten schon beim Vormieter gekauft. Sie selbst passte zwar das Sortiment leicht an, ließ aber sonst vieles unverändert. Und so ist ihr Kiosk zwar baulich nicht auf dem neuesten Stand. Wände und Schilder sind mit Aufklebern versehen, die Rollläden von Unbekannten mit Graffiti besprüht. Aber das alles stört die Kunden nicht. Sie lieben ihren Kiosk, die jahrzehntelange Konstante in einem sich sonst so schnell wandelnden Umfeld. „Ich finde das alles hier so schön nostalgisch“, sagt Andrea Große. Und die Braunschweigerin sorgt schon bei der Ansprache dafür, dass ihre Kunden ähnlich finden. Wenn die Klingel ertönt, schiebt sie das Fenster zur Seite und begrüßt viele Stammkunden mit Namen. Oft weiß sie schon von sich aus, was die Leute wünschen. Älteren Damen legt sie Zeitschriften zurück. Am Mittwochvormittag, wenn viele der Blätter neu erscheinen, hat Andrea Große kaum eine Ruhepause. Pro Tag, so hat sie mal gezählt, begrüßt sie 150 bis 200 Kunden. Auch samstags und sonntags ist geöffnet. Zwei Aushilfen gehören ebenfalls zum Verkaufsteam. Besonders gut gehen neben Druckerzeugnissen noch Tabak und Zigaretten. Aber auch Briefmarken und Fahrscheine für Bus und Bahn hat die 52-Jährige im Angebot. Fast immer inbegriffen: der kurze Klönschnack am Rande. Aber was heißt schon kurz. „Einige erzählen mir von ihren Krankheiten oder von Stress mit der Familie. Da ist viel Privates dabei. Ich weiß hier alles“, sagt Andrea Große mit einem Lächeln. Mit dem Frühling wird auch die Zeit kommen, in der die Kioskbetreiberin sich nicht mehr nur in ihren Räumen hinter der Glasscheibe aufhalten wird. Die Straße wird belebter sein. Im Sommer öffnet der Kiosk dann auch wieder eine Stunde länger bis 20 Uhr. Und natürlich ist die warme Jahreszeit auch die Eiszeit. Kinder kommen, um sich ein Wassereis zu gönnen. Oder eben eine bunte Tüte. Mit den Fruchtgummi-Artikeln für ein paar Cent pro Stück treibt Andrea Große ihren Umsatz nicht entscheidend in die Höhe. „Aber es macht Spaß“, sagt sie. Und ab und zu schiebt sie sich selbst etwas Zuckeriges in den Mund. So wie früher, als kleines Mädchen vor dem Kiosk. Die Verkäuferin mit dem offenen Ohr war heute Betreiberin jenes Kiosks in der Karlstraße, an dem sie früher als kleines Mädchen Süßes kaufte."