Wiesenstraße 9 - Molkerei

In jüngster Zeit hatte ein Molkereibetrieb in Hessen mit einem weitverzweigten Netz für Aufruhr bei der Bevölkerung gesorgt, da Keime die Milch verseucht hatten. Dies könnte man zum Anlaß nehmen, darüber nachzudenken, wie die Milchversorgung eigentlich in früherer Zeit organisiert war.

Die erste Braunschweiger Molkerei war auch eine der ersten im heutigen Niedersachsen und wurde als Genossenschaft am 17. Juli 1880 an der Hagenstraße. (heutige Steinbrecherstraße / Ecke Wiesenstraße) gegründet. Jeder Milchlieferant musste für je 10 Milchkühe 1000 Mark Genossenschaftsanteil zahlen. Bis dahin vermarktete jeder Landwirt seine Milch selber. Der neue Betrieb lag auf dem Grundstück, auf dem sich der ehemalige Jödebrunnen befand, der das Wasser für die erforderliche Milchkühlung lieferte. Der Betrieb nannte sich “Milchsterilisier-Anstalt“ und produzierte neben Flaschenmilch keimfreie Kindermilch sowie Prof. Gaertner'sche Säuglingsmilch von "unbeschränkter Haltbarkeit" (ultra hoch erhitzte, heute entprechend H-Milch). Im Jahre 1905 verkaufte man über 200000 Flaschen Milch, auch außerhalb des Braunschweigischen Gebiets, ferner fertigte man diverse Sorten Käse und natürlich auch Butter.

Der Betrieb war anfangs für die Verarbeitung von täglich 2000 Liter ausgelegt, die sich aber schnell auf täglich 12 000 bis 15 000 Liter erhöhte. Die Auslieferung der Molkereiprodukte erfolgte entweder im betriebseigenen Geschäft, durch Belieferung von Milchgeschäften oder durch die eigenen pferdebespannten Milchwagen, die mehrmals täglich durch die Braunschweiger Straßen fuhren.

Die Zentrifuge für die Butterproduktion war eine Erfindung des Braunschweiger Ingenieurs Wilhelm Lefeldt, der sein Patent 1874 anmeldete. Die BSer Molkerei war auch eine der ersten, die im Deutschen Reich die gesamte Milch durch Dauererhitzung (30 Min. bei 63 Grad) keimfrei behandelte Inzwischen lieferten 1500 Milcherzeuger täglich bis zu 40 000 Liter Rohmilch. Diese Menge konnte in der "alten Molkerei" auf Dauer nicht mehr verarbeitet werden. Man entschloss sich einen neuen, größeren Betrieb am Stadtrand zu errichten. Am 1. April 1938 war der neue milchverarbeitende Betrieb an der Frankfurter Straße fertig gestellt.

Aus dem Jahre 1957 gibt es eine Auflistung der im Östlichen Ringgebiet ansässigen Betriebe:

G r o ß h a n d l u n g e n Werner Meyer, Kastanienallee 18.

E i n z e l h a n d l u n g e n Ahrens, A., Rosenstr. 28. / Buttschaft, J., Spitzwegstr. 33 / Dette, Erna, Gliesmaroder Str. 114. / Deventer, E., Korfesstr. 3. / Ehlers, H., Rosenstr. 23. / Eichler, Marienstr. 20a. / Eichler, K., Marienstr. 20a. / Feuerbaum, Gliesmaroder Str. 35 / Hagernann, W., Karlstr. 61. / Hidde, A., Scharnhorststr. 9 / Meybom, A., Steinbrecherstr.31 / Mürbe, Johs., Husarenstr. 63. / Peerschke, 0., Heinrichstr. 24. / Prymuszala, W., Zimmerstr. 21. / Rump, Th., Griepenkerlstr. 10 / Sackmann, Fr., Marienstr. 16 / Saeger, E, Frau, Steinbrecherstr.31 / Else Weber Wabestraße 3. / Sauer, L., Comeniusstr. 27 / Sausmikat, H., Frau, Georg‑Westermann‑Allee 76. / Schade & Burkhart, Karlstr. 80. / Straube, E., Karlstr. 62. / Voigt, K., Wilhelm‑ Bode‑ Str. 52 / Josef Volkmann Andreeplatz 4 / Wegener, 0., Altewiekring 41 / Willgerodt, A., Helmstedler Str. 3 / Wolff, Frieda, Georg‑ Westermann- Allee 5.

Noch heute existiert im Hinterhof des Grundstücks Marienstraße 21a ein Gebäude aus dem Jahre 1913, in dem sich ein Pferdestall befand, wo ein Milchhändler seinen Pferdewagen sowie die Milchkannen untergebracht hatte. Im ersten Stock sorgte ein geräumiger Boden für einen ausreichenden Vorrat an Futter.

Als letztes Milchgeschäft in „unserem“ Gebiet schloss Hedwig Buttschaft ihren Laden in der Spitzwegstraße in den 1980er Jahren. Ihr einziger "Mitarbeiter" war über 30 Jahre lang der „Milchboy H“. Die Milch wurde aus einem großen Fass halbliterweise in die mitgebachten Kannen gepumpt. Die Milch wurde bereits morgens um 6 Uhr angeliefert.

Ihre Kunden waren hauptsächlich Rentner und Studenten, die in dem Gebiet um die Wilhelm-Bode-Straße wohnten. Besonders in den Wintermonaten beklagte sie, dass die älteren Kunden sich bei Eis und Schnee nicht aus dem Haus wagten und dann die Lebensmittel von ihren Kindern aus dem Supermarkt mitbringen ließen.

Man sieht, wie sehr sich die Zeiten geändert haben und ein Grundnahrungsmittel wie die Milch aufgrund der völlig anderen Lebensgewohnheiten fast nur noch in Tüten verpackt in Supermärkten erhältlich ist.

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