Die Ersterwähnung von "Brunesguik" und die Gründungssage
Stadtjubiläen werden aufgrund fragwürdiger urkundlicher oder chronikalischer Überlieferung oft zum falschen Zeitpunkt gefeiert. Mit der Ersterwähnung im Jahre 1031 stehen die Braunschweiger jedoch auf der sicheren Seite. Bei der Weihenotiz des Halberstädter Bischofs Branthago für die Kirche St. Magni aus dem Jahr 1031 handelt es sich um die älteste Urkunde des Braunschweiger Stadtarchivs, die gleichzeitig mit Brunesguik auch die erste Überlieferung unseres Stadtnamens enthält, woraus sich im Spätmittelalter zunächst Brunswiek und dann die seit Mitte des 16. Jh. aufkommende Bezeichnung Braunschweig entwickelte. Der Bischof wies der neuen Pfarrkirche mit dem in Friesland verbreiteten Patrozinium des Martyrers und Bischofs von Trani in Apulien in Gegenwart des brunonischen Grafen Liudolf außer Brunesguik auch den Bann der im Süden, Norden und Osten gelegenen Dörfer Everikesbutli, Thuringesbutli, Ibanroth (Bienrode), Velittunun (Veltenhof), Hanroth, Guinitthun (Wenden), Riudun (Rühme), Marquarderoth, Ottonroth, Glismoderoth (Gliesmarode) Huneshem, Fritherikesroth, Ruotnun (Rautheim), Morthorp, Reindageroth, Limbeki und Ekthi zu, einen verhältnismäßig großen Pfarrsprengel also. Als Erbauer und Eigentümer der Kirche werden der Freie Hatheguard und seine Frau Atta genannt. Sie überlassen ihr als Geschenk und mit Zustimmung des Grafen zwei Hufen (rund 60 Morgen), die von dem Grafen Liudolf zu Lehen gingen.
Das Weiheprotokoll in Form einer notitia bedurfte zur Zeit seiner Entstehung keines Siegels. Erst als man dies um 1200 als Rechtsmangel empfand, wurde auf der Rückseite der Urkunde mit Pergamentstreifen ein gefälschtes spitzovales Halberstädter Bischofssiegel angebracht. 1211 erwirkte man dann von Bischof Friedrich II. von Halberstadt eine nachträgliche Bestätigung der alten Urkunde. Offensichtlich war im Zuge der Siedlungsverdichtung auf dem späteren Stadtgebiet die Abgrenzung der Pfarrsprengel strittig geworden.
Die Kirchengründung fällt in eine Zeit, in der die Brunonen ihren neuen Herrschaftsmittelpunkt mit mehreren geistlichen Stiftungen ausstatteten, um ihre Gebetsgedenken zu sichern und einen ersten Verwaltungsapparat zu installieren. Um 1030 gründeten Graf Liudolf und seine Frau, die Gräfin Gertrud d.Ä., das Burgstift St. Blasii, dessen Hauptaltar von Bischof Godehard (1022-1038) von Hildesheim geweiht wurde, dem man auch die Weihe der 1544 abgebrochenen Ulricikirche auf dem Kohlmarkt zuschreibt. Graf Ekbert II. stiftete vor 1079 das Stift St. Cyriaci, wo er 1090 nach seiner Ermordung auch seine letzte Ruhestätte fand. Seine Schwester, die Markgräfin Gertrud (d.J.), gründete 1115 das Benediktinerkloster St. Marien/Aegidien, wo sie die aus Trier überführten Reliquien des späteren Stadtheiligen Auctor niederlegte. Mit Brunesguik wird 1031 der Bereich um die Magnikirche, die heutige Altewiek, bezeichnet, damals vermutlich ein Herren- oder Hörigendorf, das die Burg Dankwarderode mit Handwerkserzeugnissen und Lebensmitteln versorgte, aber auch Marktfunktionen gehabt haben könnte.
Während man bei der Ersterwähnung Braunschweigs historisch auf halbwegs sicherem Boden steht, entwickelte sich zur Gründungsgeschichte der Stadt seit dem 13. Jh. eine Sage, wonach die Gründung auf das Jahr 861 datiert wurde. Besonders ausführlich ist sie in der zwischen 1502 und 1518 entstandenen Halberstädter - heute Braunschweiger - Handschrift der Weltchronik des mittelniederdeutschen Schriftstellers Hermann Bote zum überliefert. Danach beschlossen die herzoglichen Brüder Bruno und Dankwart, keine Frauen zu nehmen und Gandersheim zugunsten ihres Bruders (Otto) zu verlassen. Als sie an die Oker kamen, habe Dankwart eine Kirche zu Ehren der Apostel Peter und Paul, das spätere Stift St. Blasii, und die Burg Dankwarderorde errichtet, Bruno aber die Stätte bebaut, wo heute der Eiermarkt liege. Dort habe er zu Ehren des heiligen Jacob eine Kirche gestiftet und den Ort Bruneswiek genannt. Beim Aufbau hätten ihm die Kaufleute geholfen, die aus Bruneswiek die Stadt Brunswiek gemacht hätten, diese sei van daghe to daghe van jaren to jaren beter starcker mechtiger gewarden und is eyne kronen unde eyn speygel des landes to Sassen unde der fursten to Brunswick unde Luneborch. So fand die Sage Eingang in die Braunschweiger Gründungstradition, die bis in unser Jahrhundert nachwirkt. Auffällig ist jedoch, dass von einem Gründungsgeschehen östlich der Oker, dem Brunesguik der Magniurkunde, in dieser Tradition, die ähnlich auch in einer Version ohne Dankwart überliefert ist, nicht die Rede ist.
Nach wie vor ist die Gründungsgeschichte der Stadt Braunschweig in der wissenschaftlichen Forschung recht umstritten, so dass bis heute über 100 Literaturtitel zu diesem Thema publiziert wurden. Dies hat die wirtschaftlich aufstrebenden Bürger Braunschweigs allerdings im Jahre 1861 nicht davon abgehalten, vom 19. bis 21. August das vermeintlich 1000-jährige Jubiläum der Stadtgründung zu feiern, indem man sich auf eine erstmals für das späte 15. Jh. genannte Inschrift berief, die sich einst am Turm der Kirche St. Jacobi befunden haben soll. Hermann Dürre veröffentlichte im selben Jahr eine erste moderne Geschichte Braunschweigs im Mittelalter und immerhin verdanken Archiv, Museum und Bibliothek den Feierlichkeiten und der damals weit verbreiteten Begeisterung für die Geschichte dieser Stadt ihre sachgerechte Ausstattung mit Räumen, Personal und Etat, wovon die historische Forschung der Region bis heute profitiert. Die Orts- und Landesgeschichte bezieht ihre Existenzberechtigung und innovative Kraft nicht zuletzt daraus, dass sie von Zeit zu Zeit scheinbar unlösbare Fragen der Geschichtsschreibung erneut aufgreift und der Lösung näher zu bringen versucht. So wird anlässlich des 975-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung Braunschweigs im Jahr 2006 die Diskussion um die Stadtgründung erneut aufgegriffen.