Tod auf dem Scheiterhaufen
Lucie Heiligentag aus Timmerlah wird der Hexerei bezichtigt
Wissenschaftliche Arbeit von Kai Sauer aus Weimar, 1996
Aus nichtveröffentlichten Akten, die ein Nachfahre der betroffenen Hauptperson aus verschiedenen Archiven zusammengestellt hat1, erfahren wir einiges über ein Drama, daß Anfang des 17. Jahrhunderts in Timmerlah begonnen hat. Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um einen Fall von Hexenverfolgung, der mit dem Tod der Angeklagten auf dem Scheiterhaufen endete. Wer galt eigentlich als Hexe, und warum verfolgte man diese Menschen auf so grausame Weise?
Hexerei - Was ist das?
Hexerei im weiteren Sinne war die Benutzung natürlicher und übernatürlicher Kräfte, meistens um eine schädliche Wirkung zu erreichen (maleficum)2. Diese schwarze Magie wurde von der weißen unterschieden, die Wahrsagerei, Astrologie, Heilkünste etc. umfaßte. Schon unter den römischen Kaisern wurden aber beide Arten der Zauberei verfolgt und sanktioniert. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung sind die großen Hexenverfolgungen aber keine Erscheinung eines „finsteren Mittelalters“. Vielmehr fanden sie in der frühen Neuzeit statt, zu einer Zeit, mit der sonst häufig eher der Durchbruch von Vernunft, Humanität und aufgeklärter Weltsicht assoziiert werden.
Hexenverfolgung und -verurteilung
Im Mittelalter waren Prozesse wegen schädlicher Zauberei noch Einzelfälle, die kirchliche Strafpraxis war relativ moderat. Erst im 15. Jahrhundert setzte sich ein neuer Hexenbegriff durch, bei dem infolge einer im Mittelalter unbekannten, tiefsitzenden Teufelsfurcht nun alte Zaubereivorstellungen und Elemente der hochmittelalterlichen Ketzerverfolgung miteinander verbunden wurden. Hexen wurden nun als Ketzer und Anhänger einer Teufelssekte angesehen. Die Bulle Summis desiderantes affectibus von Papst Innozenz VIII. von 1487 berechtigte zur Hexenverfolgung, diese betraf dann fast ausschließlich Frauen. Neben der Herausbildung dieses kollektiven Hexenbegriffs war die Veränderung des Strafprozeßrechts die zweite entscheidende Voraussetzung für massenhafte Verfolgungen. Dazu gehörte, daß nun auch im weltlichen Recht eine Ermittlung „von Amts wegen“ praktiziert wurde, was es bisher nur im kirchlichen Inquisitionsrecht gegeben hatte. Nördlich der Alpen, wo die Inquisition stets schwach gewesen war, wurden Hexenprozesse nämlich v.a. von weltlichen Gerichten geführt. Die Neuerung bedeutete, daß auf eine bloße Denunziation hin ein Verfahren eröffnet werden konnte, wobei Ermittlung und Urteilsfindung in einer Hand lagen. Zudem wirkte sich die Folterpraxis aus. Folter galt nicht als Mittel zur Erreichung beliebiger Aussagen. Man nahm statt dessen gemäß der mittelalterlichen Scholastik an, daß Folter die äußeren Voraussetzungen für das Bekenntnis der Wahrheit schaffe.
Die größte Welle von Hexenverfolgungen gab es etwa zwischen 1560 und dem Ende des 17. Jahrhunderts, und zwar sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gebieten. Treibende Kraft für die Eröffnung eines Hexenprozesses war oft genug ein größerer Teile der Bevölkerung. Richter und Schöffen standen meistens im Banne der „gelehrten“ Hexereivorstellungen und glaubten daher oft von vornherein an die Schuld der Angeklagten. Die Verhöre basierten auf immer gleichen Fragenkatalogen, was zu gleichartigen Aussagen führte, die wiederum als Beweise für die Richtigkeit der Hexenlehre gewertet wurden. Da man davon ausging, daß „Hexen“ immer Komplizen hatten, führte jede Anklage zu einer ganzen Kette von Prozessen. Opfer waren meistens ältere, alleinstehende und ärmere Frauen auf dem Land, darunter auch viele Hebammen oder Heil-kundige. Die Ursachen der Hexenverfolgungen sind noch nicht ganz klar. Meistens mußten die Opfer aber als Sündenböcke für alle möglichen Arten von Schicksalsschlägen herhalten. Sehr häufig stammten sie aus unterbäuerlichen Schichten und wurden aus ihrer Nachbarschaft heraus denunziert. Deshalb können die Prozesse auch oft als Indikatoren für wirtschaftliche Krisen und soziale Spannungen gewertet werden.
Der Fall Lucie Heiligentag aus Timmerlah
Die alten, sehr verschiedenartigen Quellen zu unserem Fall bestehen aus Protokollen, Rechnungen u.a., die vom Gemeinen Rat der Stadt Braunschweig stammen. Dieser bestand seit 1269 vor allem aus den Mitgliedern der Weichbildräte und stellte auch das Obergericht dar3. Da Timmerlah bis zur Rückeroberung der Stadt durch den Herzog im Jahr 1671 ein im braunschweigischen Pfandbesitz befindliches Dorf war, war der Rat auch hier zuständig. Die vorhandenen Schriftstücke lassen Rückschlüsse zu, die zu der folgenden Rekonstruktion des Vorgangs führen können.
Anfang 1613 grassierte in Timmerlah unter dem Vieh eine Krankheit, bei der die Tiere zunächst „toll“ wurden und schließlich verendeten. Ursache dafür soll ein böser Zauber der Lucie Heiligentag gewesen sein, der darin bestanden haben soll, daß unter Haus- und Stallschwellen „Krüge voll Zauberei“ vergraben gewesen seien. Solcher Türschwellenzauber, mit dem andere Menschen oder aber eben Tiere willenlos oder krank gemacht oder sogar getötet werden sollten, zählte zu den weitverbreiteten Vorwürfen an „Hexen“4. Offenbar war hier vor allem Christof Sander der Leidtragende. Peter Sander, Sohn des Opfermanns Heinrich, hatte davon erfahren, diese Krüge entfernt und den Vorfall wohl dem Rat gemeldet. Der Rat hat daraufhin offenkundig nicht nur die beschuldigte Lucie, sondern auch Grete Heiligentag, wohl eine Verwandte ersten Grades, verhaften lassen. Ferner wurden Peter Sander ins Gefängnis der Neustadt und dessen Mutter in das der Altstadt gebracht. Es handelte sich offensichtlich um eine Art vorbeugende Sippenhaft, wobei die Untersuchenden deutlich davon überzeugt gewesen sein müssen, daß Zauberei stets nur bei Frauen vorkomme. Die Verhaftung Peter Sanders ließe sich damit erklären, daß er als Zeuge und eventuell mißbrauchtes Medium betrachtet wurde. So wäre es auch erklärbar, daß Sander nur einen Tag in Haft saß, Grete Heiligentag jedoch fünf Tage. Über die Haftzeit von Sanders Mutter erfahren wir nichts.
Sander hat ausgesagt, er habe von der Zauberei durch eine Art Meditation bei einem weisen Mann erfahren, dieser Weise (ein männlicher „Hexer“?) hat dann bei einem Verhör ausgesagt, die Heiligentag sei die Verursacherin der bösen Zauberei gewesen. Sander ist aber offenbar zunächst nicht klar in seiner Aussage gewesen. Später heißt es aber, er habe die Krüge auf Geheiß der Beschuldigten gefunden. Zwischen beiden Aussagen - die erste im März, die zweite im Mai 1613 - liegen ungefähr zwei Monate. Da wir von der Hauptbeschuldigten Lucie Heiligentag wissen, daß sie 55 Tage lang im Gefängnis gewesen ist, daß sie während ihrer Haftzeit verhört und gefoltert worden ist, so daß sie verbunden werden mußte, liegt der Verdacht nahe, daß die zweite Aussage von der Beschuldigten selber unter dem Zwang der Folterknechte gemacht worden ist. Auch ihr Geständnis, sie habe noch zwei weitere Frauen in ihre Geheimnisse mit eingeweiht, diese seien aber bereits verstorben, könnte als erpreßte Falschaussage, die die Bestrafung rechtfertigen sollte, ins Bild passen.
Aus den vorhandenen Schriftstücken wird jedoch nicht deutlich, warum der Rat zur Hinrichtung der Lucie Heiligentag einen Scharfrichter aus dem fernen lüneburgischen Winsen an der Luhe hätte kommen lassen sollen, wie er es am 21. April 1613 wohl beschlossen hat. Denn der in den Akten mehrmals genannte und mit dem Fall befaßte Autor Degener, der dort als Scharfrichter bezeichnet wird, war wohl bereits länger in Braunschweig aktiv. Selbst wenn er theoretisch dieser aus Winsen gekommene Mann sein könnte, so ist jedoch schwer vorstellbar, daß sich in einer Stadt wie Braunschweig kein billiger zu beschaffener Scharfrichter hat finden lassen.
Der angeklagten Lucie Heiligentag haben solcherlei Bedenken jedenfalls nichts genützt. Sie wurde am 10. Mai des Jahres als Zauberin auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Gedanken zum Sinn und Zweck der Hexenverfolgung
Es ist heute nicht mehr nachvollziehbar, warum sie konkret beschuldigt worden ist. Eventuell zählte sie zu den Frauen, die wegen ihrer Kenntnisse auf Gebieten wie der Heilkunde oder auch als vermeintliche Hellseherinnen oder Sterndeuterinnen ihrer Umwelt schon länger unheimlich und verdächtig war. Sie scheint außerdem bereits älter gewesen zu sein, da sie - allerdings unter der Folter - „gestanden“ hat, bereits seit 40 Jahren schwarze Magie betrieben zu haben. So hätte sie genau zu der oben genannten Gruppe gehört, die am häufigsten von Hexenverfolgungen betroffen waren. Da der Hexenglaube ja eine aus heutiger Sicht irrationale, damals aber akzeptierte Erklärung für das Wirken zerstörerischer Naturgewalten bot, könnten Timmerlaher Dorfbewohner dann, als eine Seuche den lebenswichtigen Tierbestand dezimierte, diese Frau als Sündenbock aus ihrer Gemeinschaft heraus in den Hexenprozeß getrieben haben. Da der Verlust eines Nutztiers gerade bei denen, die wenig besaßen, das Messer am wirtschaftlichen Lebensnerv bedeuten konnte, ist es wahrscheinlich, daß der Antrieb dazu aus der klein- oder unterbäuerlichen Schicht kam.
Jedenfalls gehört sie zu den zahllosen Opfern eines religiösen Wahns, der noch viele Jahrzehnte lang sein Unwesen weitertreiben sollte. Peter Sander übrigens scheint die Affäre dagegen nicht geschadet zu haben: Er bekam am 18. Oktober 1613 vom Rat in Braunschweig das Schankrecht für Timmerlah verpachtet, das er eventuell auch schon vorher innehatte5. Inwiefern diese Verpachtung im Zusammenhang mit Sanders Aussage gegen Lucie Heiligentag stand, kann man heute nicht mehr rekonstruieren.
Interessant ist noch das Nachspiel, daß diese Hinrichtung gehabt hat. Die Kosten des Verfahrens, wegen des auswärtigen Scharfrichters recht bedeutend, wurden laut Ratsbeschluß auf die Einwohner des Amtes Eich umgelegt. Das geschah offenbar im Geiste einer Gruppenhaftung nach einer Art Verursacherprinzip, denn zu diesem Amt zählte auch Timmerlah, Herkunftsort der Heiligentag. Während sich die meisten Dörfer diesem Beschluß beugten, verweigerten die Gemeindemitglieder von Völkenrode die Zahlung. Sie hatten im Eichgericht einen Sonderstatus inne6, der von der Stadt dann dahingehend akzeptiert wurde, daß die Gemeinde aus der gegenseitigen Haftung der Bewohner des Amtes ausgenommen wurden.
Lucie Heiligentag aus Timmerlah wurde zu einer Zeit hingerichtet, die einen Höhepunkt in der Hexenverfolgung darstellte. Noch lange mußten vor allem weibliche Opfer unter der Hysterie leiden.
Exkurs: Der Hexenglaube des Hans Reinhardt aus Geitelde
Vor über hundert Jahren, zu einer Zeit, in der die Beschäftigung der Historiker mit diesem Phänomen besonders intensiv war, schrieb Rhamm, in den braunschweigischen Landen sei die letzte Hexe noch gegen 1700 hingerichtet worden7. Ihm verdanken wir auch die Überlieferung eines Vorfalls aus Geitelde von 1661, der zeigt, wie lebendig der Hexenglaube noch lange Zeit war. Demnach wollte der 13-jährige Hans Reinhardt herausfinden, welche Frauen in seinem Dorf der Hexerei mächtig wären. Dazu führte er in der Walpurgisnacht eine Probe durch, die darin bestand, daß er auf einem dreibeinigen Schemel um und durch Geitelde rückte, schließlich auf der Kreuzung einen Kreis mit vier Kreuzen darum in den Staub malte und in dem Kreis wartete. Nach mehrstündigem Warten zeigten sich die dunklen Mächte. Es erhob sich ein Sturm, der dem Jungen Angst und Bange machte, und mitten in diesem Tosen sah Hans Reinhardt plötzlich sechs alte Frauen um sich herum. Sie versuchten, ihn aus dem Kreis zu ziehen, offensichtlich zornentbrannt wegen der Herausforderung, die dieser Knabe gewagt hatte. Dieser jedoch vergaß trotz seiner Angst nicht zu beten, so daß er den Frauen unerreichbar blieb, bis der Spuk sich endlich gelegt hatte.
Kaum hatte Hans diese Gefahr heil durchlitten, lief er ins Dorf und erzählte von seinem Erlebnis. Er nannte auch die Namen der Geitelderinnen, die sich durch seine mutige Tat als Hexen offenbart hatten. Es waren die Frauen Himstädt, Jürgens und Helms sowie die Müllersche, die Sonnenbergsche und die Horenburgsche. Natürlich waren die Betroffenen von diesen Anschuldigungen wenig erfreut, so daß der Amtmann den tapferen Jungen schließlich in Haft nehmen mußte, um ihn zu schützen. In einem Bericht an seinen Landes- und obersten Gerichtsherrn empfahl er eine milde Behandlung des kleinen Delinquenten. Der Herzog aber ordnete an, daß Hans und zwei Kumpane dem Diebshenker überstellt und ordentlich mit der Rute bestraft würden, denn, so seine Durchlaucht, „es ist ein solches Delictum, daß man mit dem Fuchsschwanz nicht überhin streichen kann“. Und diese Entscheidung war weise und gerecht. Schließlich ist es auch heute noch bei Strafe verboten, jemanden durch Verleumdung einer ungerechten Strafe zuzuführen - vor allem, wenn diese Strafe darin bestehen kann, daß die Beschuldigten vom Leben zum Tode befördert werden.
1 Die Akten wurden von Herrn Meyer, Rautheim, gesammelt, ins Reine geschrieben und dem Ortsheimatpfleger von Timmerlah zur Verfügung gestellt. Sie tragen den Titel 1613; Schriftsachen zur Verurteilung, Verbrennung, Zeugen, Unterbringung der Zeugen und Kostenberechnung, Verteilung der Kosten auf alle Einwohner des Amtsgerichts-Bezirks Eich; Die alte Hilligendagesche aus Timmerlahe.
2 Zum Folgenden Trusen, W. und Daxelmüller, C.: Hexen, Hexerei, in: Lexikon des Mittelalters 4, Sp. 2201 ff.; Hehl, U. v:: Hexenprozesse und Geschichtswissenschaft, in: Historisches Jahrbuch 107 (1987), S. 349-375.
3 Zum Rat der Stadt s. Braunschweiger Stadtlexikon, S. 187 f.
4 Trusen und Daxelmüller, Hexen, Hexerei, Sp. 2203.
5 Laut einem Schriftstück des Rates von 1613 beim Ortsheimatpfleger.
6 Bei Kleinau findet sich unter dem Stichwort Eich, Gericht/Amt, folgende Bemerkung: „...das [zur Gogrefschaft Bortfeld innerhalb des Amts gehörige] Junkerdorf Völkenrode hatte Dienste und Kontributionen an das Amt zu leisten“ (Kleinau, H.: Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig I. Hildesheim 1967, S. 165). Genaueres zum besonderen Status von Völkenrode ist mir leider nicht bekannt.
7 Rhamm, U.: Hexenglaube und Hexenprozesse vornämlich in den braunschweigischen Landen. Wolfenbüttel 1882, im Folgenden S. 94 f.
Zugrundeliegende Original-Literaturquellen
Die Quellen werden im Folgenden nach der Transskription Meyers zitiert, der die Originale vorliegen hatte. Dabei mußten an manchen Stellen Lücken gelassen werden, wo es nicht möglich war, die Vorlage zu entziffern. In eckigen Klammern sind vereinzelt Erklärungen oder im Original fehlende Teile, die das Verständnis erschweren, eingeschoben. Kopien der Originale sind bis auf drei von Meyer ebenfalls genannte Quellen (s.u. Nr. 4, 5, 7) bei den Unterlagen des Ortsheimatpflegers.
1) Amtshandelsbuch (StA Wolfenbüttel 21 Alt 186, Seite 13), keine wesentlichen Lücken.
Timmerlagsche Zeuberei Sachen
Des Oppermanns Sohn zue Timmerlag ist hierein gefordertt, aldieweil er unter Christoff Sanders Haus und Stallschwellen 3 Kumme [Schüsseln]... voll wunderliche Sachen gefunden welches er vor her angezeigett, ob(mehr) ihm solches im entzuekenett vor e weise Männern offenbarett, welcher hernach in dem gehaltenen Examen uff die altten Heilgentagschen daselbst bekennet, so darauff auch herein geholett worden, ohn angesehen der Junge bei seinen Aussagen anfangs nicht bestendig ver plieben Der weitere Verlauff dieser Sachen ist bei den Acten hierüber zuesamen gefast zuebefinden, welche bei den ... behaltten werden,
Marty [1]613
2) Amtshandelsbuch (StA Wolfenbüttel 21 Alt 186, Seite 19 f.), keine Lücken.
Hilgentagesche von Timmerlage wegen beschuldigt der Zauberey herein geholett,
Demnach des Oppermanns Jung zu Timmerlag, im Herr Johan Sanders (seligen) Hoffe, werdauf eine Zeithero so (wol) auch im ganzen Dorff Vieh (auch) u. Rinder thol und rasent geworden, auch theilsgelents Todes gestorben, Uff geheis der alten Timmerlagschen, unter den Haus und Stallschwellen, etzliche Krukken gefüllet mitt Zauberei, hervor gegraben, und über seiner Examination ausgesagett, solches ihnen von der Hilgentagischen geheißen worden wehre, also ist dieselbige alhier gefenklich eingeholett worden, welche in der Tortur uff zwey andere bekandt, denen sie die Zauberey gelernett, so aber albereitt gestorben, vor ihr Person habe sie es viertigk Jhar getriebenn, auch den Schaden unter dem Vieh zu Timmerlage verursachett, waß ihr Unttahten wehr, solches wird die Uhrgicht [Geständnis], so nebens den Acten bey dem Raht in mehrem besagenn.
Gefangene ist zum Feuer vertambt, undt den 10. May gebrant wordenn, Anno [1]613
vide infi plura de venefica bei fol. 56
3) Cämmrerer-Bücher der Stadt Braunschweig (StadtA Braunschweig HV 114, Seite 58), keine Lücken. Im ersten Absatz ist der Name des Balbiers am Rand notiert und durch ein Platzhalterzeichen eingefügt. Maße: 1 Florin = 1 Taler = 30 mgr = 12 Pf; 1 Stübchen = 3,894, Liter (lt. Meyer)
1613 Zauberin Heiligendagesche
Es saß wieder eine Zauberin die Heyiligentagesche. Sie wurde torquiert [gefoltert] und wieder vom balbier Arnt Mulrath verbunden. der Scharfrichter erhielt für jede peinliche Frage 10 mgr u. für eine decollation [eigtl. Köpfung] 1 Florin Gerichtsherrn Voigte und Schreiber erhielten für ein peinliches Examen und die decollation 1 Florin 3 mgr 9 Pf
Die beiden Prediger für die Begleitung je ½ Stübchen 10 Groschen
Autor Degener für eine decollation 10 Groschen
4) Tägliche Ein- und Ausgaben der Stadt Braunschweig von 1611 - 1615 (StadtA Braunschweig B II 4, Seiten 123 beidseitig, 164 vorderseitig, 170 rückseitig), keine Lücken. Es fehlen in den Akten aber Kopie und Trans-skription S. 170 rückseitig.
Einnahme und Außgabe Mittwochens den 19. May Anno 1613
1 Thaler Meister Arndt dem Balbyrer geben für die Zeuberin die Hylgendagesche zu schueren, auch eynen Wechter so auch geschlagen undt verwundett, zu verbinden gegeben Lauth Zettels. Noch 2 gg dem gesellen Dringgeldt.
[= S. 123 vorderseitig]
28 R [Florentin] 14 g Davith Schöni dem fronen [einf. Gerichts-diener] geben, und darmitt die gefangene Zeubersche die Hilgendagesche, auch Peter Sander so des Oppermanns Sohne und uff die Oppermenschen Heinrich Sanders Weyb, Alle 3 von Timmerlahe, im gefengknis gangen. Lauth des fronen obergegebenen Zettels.
13 g Ottho Wyttenbergk fronen in der Newenstadt zaltt, was der junge Peter Sanders von Tymmerlage bey ihme im gefengknis 1 Tag verzerht. Hier zw 8 g Schlishgeldt Lauth Zettels.
2 R Cordt Reyffenbergk Marckmeister das ehr die Zeuberin die Hilligendagesche, Peter Sanders, Gretthe Heylligendages und Heinrich Sanders des Oppermans frawe alle von Tymmerlage, gefenglich annehmen mußte. Lauth Zettels.
[= S. 123 rückseitig]
71 gute Fl. 1 gg 7 gd [gute Groschen, gute Dinar = Pf] von Johan Detten Ambtmann, uff die 69 Taler 35 g so aus dem Eichgericht wegen der altten Heiligentagischen peinlicher Rechtferttigung uffkommen sollen, restes noch 8 gute Fl. 18 gg 9 gd dieselbe sollenn die von Volckingrode ausgeben.
[= S. 164 vorderseitig]
5) Protocollbuch 1609 - 1613 (StadtA Braunschweig B I 18 Band 24, S. 497). Es fehlen in den vorhandenen Akten Kopie und Transskription.
Es ist geschlossen, dass wegen der gefangenen Heiligendageschen ein frembder Scharfrichter von Winsen ? anhero ... schreiben werden solle,
6) Hauptrechnungen der gemeinen Stadt Braunschweig Anno 1613 (StadtA Braunschweig B II 1-137). Zusätzlich zu den die Heiligentagsche betreffende Stellen sind in den Akten noch Notizen über die Besoldung der „Beamten“ zu finden, die hier nicht angegeben werden. Unter der Überschrift Gefangene finden sich folgende Eintragungen (keine Lücken).
Den 21 Aprilis Davidt Schönen dem Frohnen vor Greten Heilligendages fünff Tage zu speisen und zuschließen zahlt 26 G [...]
Den 19 May Arndt Mülrath Balbierern, daß er die Zeuberin die Heiligentagesche im Gefängnis verbunden, auch sonsten einen verwundten Wechter curirt, zahlt 19 G 6 Pf
Idem Davidt Schönen Fronen in der Altenstadt, daß ehr die Zeuberin Lucien Heilligentags 55 Tage gespeiset und geschloßen, zahlt 4 R 17 G 6 Pf [...]
7) Inneres. Cellische Ämter, Städte- und Privatsachen (HStA Hannover, B. Celle Braunschweig 61). Es fehlen Kopie und Transskription, lediglich für 1617 der Name des Lüneburger Scharfrichters für Winsen, Chritoph Pflug, genannt; Fundstelle II Ämter 35. Amt Winsen an der Luhe Nr. 775 Nr. 18 Aa.
8) Amtshandelsbuch (StA Wolfenbüttel 21 Alt 186, Seite 56 f.), keine Lücken.
Die Unkosten der gebrantten Zauberinnen werden von den Eichgerichts Leutten hir wied eingebrachtt.
Demnach E.E. [Euer Ehrenwerter] Rahtt dieser Stadtt uff die Rechtfertigung der Alten Zauberinnen der Hilgentagsche, wo zue man einen frembden Meister von Winsen an der Luhe erfürdern und veruncosten müßen - 69 Thaler 35 Groschen ergangen, welche aus gemeinen Cassen vorflossen, so soll der Ambtman Johan Detten hirmitt befehligtt sein, solche vorgelegtte Geld von den Unterthanen im Gericht der Eich wieder ein zufordern und den Zehnsmännern wieder zu überantwortten,
Actum uff der Münz(schmied) am 11. November 613 Zehenmann daselbsten
zue folge dem ist der Überschlagh uff 245 Mann alß Ackerleute, Halbspänner und Kottsaßen gemachett und befunden worden, uns jeder 10 g und einen dreier contribirn müssen, Thuett 70 Thaler 14 Groschen 7 Pfennige.
Nun sollen diese Zehnsmänner haben 70 Thaler minus 8 Pfennige.
Darauff denselben entrichtete 71 Thaler 1 Groschen 7 Pfennige.
Abgezogen woltte Ihnen noch Restes 8 Thaler 18 Groschen 9 Pfennige. die müßen die Volekenrod einbringen, Woselbstens 27 Mann, gibtt ein jeder 6 Groschen, 2 Pfennige. Thuett 8 Thaler 18 Groschen 9 Pfennige.
ist 10 Pfennige 3 Flittern [geringwertige Kupferpfennige]
Actum am 13. Decemb. 613
Ingedenken des Uff E.E. Rahtts einhälligen Schluß hinfort denselben Unterthanen ufem Lande, dofern auß ihrem Mittel Mißtäter Justificirte [Abgeurteilte] werden solten die dar zue verwendette Unkosten sollen pro rata abtragen, gestalitt vorher solches verordnett werden.
Dem Hogreve und Voigt im Eichgericht sollen hiermitt befehligt sein, den Einwohnern und sonderlich den Bauermeistern im Eichgericht anzuzeigen, Nach deme die Männer zue Volckerode die Verkostung so uff die Zauberin die Hilgentagschen von Timmerlag verwendet werden mußen, dem gemachten Überschlagk nach mitt abzuetragen sich verweigertt, und darauff Ihnen zum Bescheidt erfolgett, das Sie künftigk dengleichen auß ihrem Dorffe verursachte Unkosten vor sich alsdann allein abtragen sollten.
Das demnach die anderen Einwohner im Eichgerichtt das übrige vollendts einbringen, und ein jeder dazue noch elff flittern erlegen, und dieselben noch vor den heiligen Tagen dem Ambtman alhir einhändigen lassen, und sich diesem nach achten sol.
Signatum Braunschweig am 17. December 613
Zusammenfassung der Quellen
1) Peter Sander, Sohn des Oppermanns, hat bei Christof Sanders 3 Schüsseln „voller Zauberei“ gefunden und dies dem Rat gemeldet. Er hat angegeben, da-von in ekstatischem Zustand vor einem weisen Mann erfahren zu haben. Dieser hat bei einer Untersuchung der Heiligentag die Schuld zugewiesen. Sowohl der Weise als auch Peter Sander sind vom Rat verhaftet worden, Sanders Aussage war zunächst nicht eindeutig. (März 1613)
2) Peter Sander hat ausgesagt, daß im Dorf über längere Zeit Vieh krank gwor-den und unter Qualen eingegangen ist. Auf Geheiß der Heiligentaf hat Sander dann Krüge „voller Zauberei“ aus Verstecken ausgegraben. Diese wurde darauf-hin vom Rat verhaftet und gefoltert. Sie sagte schließlich aus, sie habe bereits seit 40 Jahren Zauberei betrieben und sei auch am Schaden am Timmerlaher Vieh schuldig, außerdem habe sie noch zwei anderen Frauen die Zauberei bei-gebracht, die aber beide schon verstorben seien. Aufgrund dieser Aussage wur-de die Heiligentag zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt und am 10. Mai verbrannt. (Mai 1613)
3) Die Heiligentag saß wegen Anklage der Zauberei im Gefängnis des Rates, wo sie verhört, gefoltert und verarztet worden ist. An den Zwangsmaßnahmen waren der Scharfrichter, Gerichtsherrn, Vögte, Schreiber, zwei Geistliche und Autor Degener beteiligt. (? 1613)
4) Die Heiligentag wurde im Gefängnis vom Balbier geschoren. Außer ihr hat auch Peter Sander einen Tag im Neustadtgefängnis eingesessen wie auch seine Mutter. Grete Heiligentag wird extra noch als Gefangene aufgeführt. (Mai 1613)
5) Wegen der Heiligentag soll ein Scharfrichter aus Winsen geholt werden.
6) Grete Heiligentag hat 5 Tage im Gefängnis gesessen. Die der Zauberei ange-klagte Lucie Heiligentag hat 55 Tage eingesessen und wurde im Gefängnis ver-arztet. (April/Mai 1613)
8) Der Rat läßt die Unkosten des Verfahrens gegen die Zauberin(nen?) auf die Bewohner des Amtes Eich umlegen. Das Geld soll noch vor Weihnachten eingehen. Da die Bewohner Völkenrodes sich weigerten, zur Zahlung beizutragen, wird vom Rat bestimmt, daß sie zukünftig bei in ihrem Dorf verursachten Streitkosten auch keine Kostenbeteiligung seitens der anderen Eich-Dörfer zu erwarten haben. (November / Dezember 1613)