Situation von Althaus ab 1944
Althaus hatte offenbar seit März 1944 Dienst bei der Reserveeinheit ‘Braunchweiger Landesschützen‘ tun müssen und war in den letzten Kriegstagen in amerikanische Gefangenschaft geraten. Er war für kurze Zeit in einem POW-Lager in Immendorf bei Watenstedt interniert und ist wohl bereits im Mai oder Juni 1945 entlassen worden und zu seiner Familie zurückgekehrt1. Die direkte Nachkriegszeit dürfte für die kinderreiche Familie besonders schwer gewesen sein. Althaus mußte die dringend benötigten Lebensmittel auf dem Pfarrland selber anbauen, wobei er wegen der Probleme zwischen der Gemeinde und ihm von den Landwirten keine Unterstützung erfahren zu haben scheint2. Noch fünf Jahre nach Kriegsende bestand im Landeskirchenamt der Eindruck, daß bei ihm die Gemeindearbeit hinter der Haus- und Viehwirtschaft zurückstehe3.
Althaus war zudem kommissarisches Mitglied des Kreistages und Mitglied des Kreissonderausschusses für die Naziverfolgten4. Wahrscheinlich hatten die alliierten Besatzer ihn in der allerersten Nachkriegszeit wegen seiner Opposition zu den Nationalsozialisten dazu ernannt.
Die angespannte allgemeine Lage verdeutlicht eine Klage des Pastors vom Juni 1948: Er müsse trotz der großen Belastung und schwerer Krankheit am regelmäßigen Wachdienst in Timmerlah teilnehmen, der von vielen anderen Timmerlahern dagegen nur noch lückenhaft geleistet werde. Das Landeskirchenamt mußte ihn darauf hinweisen, daß er als Geistlicher zwar gesetzlich vom Feuerwehrdienst befreit sei, nicht aber vom dringend notwendigen Wachdienst der Bürger5. Dieser Wachdienst hatte sich in den meisten Ortschaften als Selbstschutz wegen der bereits angedeuteten unsicheren Situation gebildet 6.
Es ist darüber hinaus aber denkbar, daß der Grund für die von der Landeskirche beklagte Vernachlässigung der Gemeindearbeit durch Althaus in der immer unhaltbareren Situation gegenüber Gemeinde und Kirchenregierung lag. Offenbar entwickelte der Pastor Vermeidungstendenzen, weil er mit seiner Lage nicht mehr umzugehen wußte. Denn auch nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur setzte sich die Auseinandersetzung zwischen Althaus und der Kirchenleitung fort. Die Probleme zwischen ihm und seiner Gemeinde wuchsen eher noch. Der Geistliche war seit Aufnahme des Pfarramts wiederholt ermahnt worden, weil er selbst seinen wichtigsten Verwaltungspflichten nicht nachkam. Er führte zum Beispiel die Kirchenchronik nicht, Pachtverträge und Abrechnungen fehlten, Kirchenvorstandswahlen und -Sitzungen fanden nicht statt7. In den fünfziger Jahren folgten nun mehrere Versuche von Vertretern der Kirchengemeinde, Althaus loszuwerden. Im Mai 1952 z.B. beklagten die Kirchenvorstände von Timmerlah und Sonnenberg die Entfremdung zwischen Pastor und Gemeinde und forderten seine Absetzung. Die Landwirte Schulte und Bartels sowie der Hauptlehrer Staats drohten, viele Gemeindemitglieder würden sonst ihre Kirchensteuer nicht mehr bezahlen8. In diesen Zusammenhang ist wohl auch die Tatsache einzuordnen, daß die Timmerlaher nicht die geringste Bereitschaft zeigten, die durch den Luftangriff am 23. Mai 1944 von einer Luftmine schwer beschädigte Kirche oder die ebenfalls teilzerstörten Pfarrgebäude wieder instandzusetzen. Statt dessen waren sogar die Ziegel vom Kirchendach auf der nach der Zerstörung der alten neu gebauten Bartelsche Scheune gelandet. Dieser Vorgang ist heute unklar. Ein Blick auf den Scheunengiebel scheint aber auf die politische Haltung des damaligen Bauern hinzuweisen: Heute noch ist ein großes gemauertes Quadrat zu erkennen, wo bis Kriegsende ein großes Hakenkreuz geprangt haben soll. Die Wiederherstellung der Kirche zog sich lange hin, noch 1952 fanden die Gottesdienste im Turm statt9.
Im Jahr 1950 entstand u.a. dieser geschilderten Umstände wegen erneut Streit mit der Kirchenregierung, die nun beschloß, Althaus zwangsweise zu versetzen. Anlaß dafür war, daß der wieder amtierende Oberlandeskirchenrat Röpke ihm eine mangelhafte Amtsführung vorhielt10. Als Reaktion darauf forderte Althaus,
das Urteil aus dem Dienststrafverfahren von 1936 solle getilgt werden. Es ging ihm dabei um „eine solche Aufhebung meiner Bestrafung, die sachlich ein Abrücken von dem Unrecht darstellt, das damals den Juden und anderen unschuldigen Menschen zugefügt worden ist.[...] Ernsthafte Buße - nur an einer solchen liegt mir - trägt wunderbare Früchte.“ Ferner forderte er die Landeskirche zu weitergehenden, eindeutigen Schritten auf:
Die Erfüllung meiner Bitte kann nur in einem Ausräumen des Unrechts bestehen. Das würde das Eingeständnis von Schuld sein, verbunden mit einem geeigneten Aufruf zur Buße. Die Schuld, die wir an Juden, Zigeunern, an den Tausenden von Gliedern der Völker, an denen wir uns unter Hitler vergangen haben, auf uns geladen haben, ist groß genug [...] Wer unserem Kirchenvolke, das in weiten Kreisen noch nicht zum Bußetun gekommen ist, zur rechten Buße verhilft, der hat ihm einen ganz großen Segen erwiesen.11
Aus dieser Passage des Schreibens an die Kirchenleitung wird klar, daß Althaus weniger seine persönliche Rehabilitierung anstrebte als vielmehr eine eindeutige Stellungnahme der Landeskirche zu ihrer Schuld aus der Zeit vor 1945. Althaus fügte hinzu, daß auch die Landeskirchenleitung dabei an Glaubwürdigkeit gewinnen könne, und machte immer wieder deutlich, daß er dabei vor allem an die belasteten Oberlandeskirchenräte Röpke und Breust dachte, die wie vor dem Zusammenbruch des Dritten Reichs im April 1945 weiter an entscheidender Stelle ihren Dienst taten.
Bischof Erdmann zeigte im kircheninternen Kreis erstaunlich viel Verständnis. Leider aber machte er keinen ernsthaften Versuch, sich gegen die belasteten Personen durchzusetzen, und er äußerte sich auch nicht entsprechend in der Öffentlichkeit. Er trug in einer Sitzung der Kirchenregierung vor,
daß man bei dieser bedauerlichen Angelegenheit nicht vergessen dürfe, daß die Einstellung des Pfarrers Althaus insoweit ihre Berechtigung habe, als er immer wieder darauf hinweise, daß die im dritten Reiche auch von der damaligen braunschweigischen Kirchenregierung praktizierte Ariergesetzgebung ein Unrecht gewesen sei und daß die damalige Kirchenregierung nicht mit der Energie widerstanden habe, wie es vom Evangelium her zu fordern gewesen wäre, deshalb verlange Althaus immer wieder, daß ein Bekenntnis abgelegt werde, welches dieses Unrecht eingestehe.12
Der betroffene Breust konnte die vom Timmerlaher Pastor gezogene Schlußfolgerung von der Notwendigkeit eines Schuldbekenntnisses nicht nachvollziehen. Er verwies später, 1956, darauf, daß „dieses Bekenntnis doch gleich nach Kriegsschluß von der gesamten deutschen evangelischen Kirche in dem sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnis niedergelegt“ worden sei. Außerdem befand der Oberlandeskirchenrat, heute nach 11 Jahren zweifle niemand mehr daran, daß die Ariergesetzgebung ein Unrecht gewesen sei; daher würde es merkwürdig wirken, wenn jetzt allein die braunschweigische Landeskirche mit einem Male ein solches Bekenntnis wiederhole.13
Fußnoten
1 Landeskirchliches Archiv Braunschweig (LABS), Personalakte Althaus Bd. 1 zu Nr. 238 (POW = Prisoners of War). Es handelte sich wahrscheinlich um das Lager C1, wo seit 1944 Zwangsarbeiter aus Frankreich und dem Osten interniert gewesen waren. Es gehörte innerhalb des riesigen Lagerkomplexes für Zwangsarbeiter bei den Stahlwerken zu den wenigen, die vor Kriegsende nicht zu einem KZ-Außenlager umgewandelt worden waren (vgl. Pische, Europa arbeitet..., S. 351).
2 LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 410.
3 LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 243. Dazu gehört auch Althaus Engagement im Ziegenzuchtverein Timmerlah (Handakten des Kirchenvorstandsvorsitzenden Seebaß v. 15.7.52, LABS Akte „Fall Althaus“ Bd. 8).
4 Erwähnt im Entwurf einer für den 8.10.56 geplanten Verteidigungsrede vor der Disziplinarkammer (LABS Akte „Fall Althaus“ Bd. 1).
5 LABS Personalakte Bd. 1 zu Nr. 241.
6 Bein, R., Vogel, B.: Nachkriegszeit. Das Braunschweiger Land 1945 - 1950. Materialien zur Landesgeschichte. Braunschweig 1995, S. 212, 222, auch 137.
7 Kuessner, D.: Bekennen und Vergeben in der Nachkriegszeit. Ein Beitrag zum Verständnis der Auseinandersetzung von Landesbischof D. Martin Erdmann mit Max Witte und Georg Althaus; in: Pollmann, K.E. (Hg.): Der schwierige Weg in die Nachkriegszeit. Die evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig 1945 - 1950. (Studien z. Kirchengeschichte Niedersachsens 34) Braunschweig 1995, S. 100 -130, hier S. 125.
8 Schreiben vom 16.2.53 (LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 282), vgl. das aufschlußreiche Protokoll einer Sitzung der Kirchenvorstände von Timmerlah und Sonnenberg mit Althaus und den Oberlandeskirchenräten Seebaß und Steffen am 15.5.52 (LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 279).
9 LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Nr. 321; Akte „Fall Althaus“ Bd. 8.
10 Sitzungsprotokoll der Kirchenregierung vom 2.5.50 (LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 243).
11 Schreiben an die Kirchenregierung vom 26.1.52 (LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 261).
12 LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 380f.
13 OLKR Breust in der Sitzung der Kirchenregierung vom 11.7.56 (LABS Personalakte Althaus Bd. 1 Bl. 380f.).