1. Preis Großer Hof - Beitrag 1017
STÄDTEBAULICHE LEITIDEE
Das Areal um den Großen Hof in Braunschweig ist stark geprägt durch eine heterogene Struktur in der Ausformulierung der städtebaulichen Setzung, den Dachformen, sowie der Nutzung der jeweiligen Gebäude. Unsere höchste Priorität liegt in der, für die Stadt und das Quartier, angemessenen Findung einer vollendenden und aufwertenden Lösung unter der Betrachtung und genauen Analyse des Gebietes im Kontext der Umgebung. Die teils unvollendeten historischen Blockstrukturen und die zentrale Lage im Altstadtkern, bestärken unseren daraus resultierenden Leitgedanken der Stadtreparatur. In Kombination mit der Realisierung eines einerseits modernen und heterogenen Kreativquartiers und der gleichzeitigen respektvollen Angleichung an die Historie der Braunschweiger Gebäudesetzungen, nehmen wir die Fluchten der angrenzenden nördlichen Blockrandbebauung auf und führen diese konsequent, straßenbegleitend nach Süden durch. Zur Wahrung der Maßstäblichkeit, gliedern wir diese in drei eigenständige offene Blockrandstrukturen auf und stärken somit essenzielle Querverbindungen, im Sinne einer modernen Stadt des Durchflusses, zu teils bestehenden Achsen und prägenden Orten. Auf den bestehenden Grundmauern der Markthalle erstellen wir als Hommage und Würdigung dieser, in ihren Abgrenzungen, das Quartiershub als neuen belebenden „Dreh- und Angelpunkt“. Die neue städtebauliche Setzung ermöglicht trotz ihrer Urbanität neben unzähligen öffentlichen und barrierefreien Freiflächen auch private und halböffentliche Höfe in den Herzen der drei Kleinquartieren. Als Aneinanderreihung analog einer Perlenkette werden die öffentlichen Freiflächen miteinander Vernetz und thematisch spannungsvoll mit einer wechselnden Folge von Grünräumen und Plätzen programmiert. Es entstehen markante und einzigartige Räume. So kann man sich z.B. perspektivisch in der Öffnung der Grünfläche an der Liberei zum Lesen und quatschen im kleinen Kreis, umgeben von historischen Orten, treffen. Auf einen Tee nebenan im Café beim Familienzentrum wiederfinden, gefolgt von dem Besuch einer Vernissage in der angrenzenden Galerie, mit Blick in den Baum Hain der bestehenden Parkstruktur unserer „Baumhalle“ und anschließenden kann man den Tag bei einer Veranstaltung in der „Hofgalerie“ ausklingen lassen.
Architektur
Architektonisch nehmen wir im Kontext unseres Leitgedankens der Stadtreparatur die Trauf- und Firsthöhen der Bestandsgebäude auf und sorgen somit für einen fließenden Übergang von Alt- zu Neubau. Die Kopfenden werden von Hochpunkten mit Flachdächern abgeschlossen. Es entsteht ein Motiv. Flachdächer mit großen Gemeinschaftsdachterrassen orientieren sich an den Querverbindungen und beleben diese aktiv. Schrägdachstrukturen bilden das Gesicht zu den bestehenden Straßenfluchten und fügen sich mit den Kopfenden der Blockbebauung durch große Gauben optisch zusammen. Die Hochpunkte in den Eckbereichen flankieren bedeutende Wegeverbindungen und adressieren markante Platzsituationen. Als Hommage an die Bedeutsamkeit der Kemenate im Süden, wird diese, gefasst in einer neuen Hofstruktur, von Sonderbaustrukturen umhüllt und als neuer Gemeinschaftsort hervorgehoben. Der Mobility Hub bildet in seiner modernen Ausformulierung mit Photovoltaikanlagen, Gewächshausstrukturen und einer spielerischen Freitreppe auf die Sportterrasse absichtlich einen architektonischen Kontrast. Er wächst wie ein Diamant gefasst aus den bestehenden historischen Grundmauern der Markthalle hervor, welche weiterhin als „Hall of Fame“ für die kreativen Ideen der Künstler erhalten bleibt.
Öffentliche Stadträume
Im Kreuzungspunkt der beiden Hauptdurchquerungen des Quartiers entsteht als neues urbanes Zentrum der neue Quartiersplatz. Gebündelte öffentliche und urbane Funktionen wie Familienzentrum und Quartiers- Management gepaart mit gastronomischen Angeboten und Galerieflächen tragen zu einem Quartiersübergreifenden belebten städtischem Aufenthaltspunkt bei. Der Große Hof mit seinem prägenden Baumdach als zentrale Grünfläche im Quartier, übernimmt neben der Wohnraumbezogenen Freiflächenqualität viel Freiraum für die Aneignung und Selbstgestaltung durch die Bewohner. Gleichzeitig stellt er durch eine vollständige Entsiegelung einen wichtigen Baustein für die Regenrückhaltung und Klimaanpassung dar. Im Osten des Quartiers bildet die „Hof Galerie“ mit Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen das Fenster für unser neues Kreativquartier zur Stadt und lädt ein, es entdecken zu wollen.
MOBILITIY HUB > mehr als nur Mobilität
Das Wohn- und Kreativquartier Großer Hof wird Autofrei realisiert. Shared Spaces bilden die Nord- Süd Verbindungen für Notfälle oder Anlieferungen aus. PKWs werden nur von der Wendenstraße in den Mobility Hub über eine Ein- und Ausfahrt geleitet. Lediglich die Anlieferung für die ansässigen Gewerbe und Galerieräume wird geschickt in Süd-Nord Richtung im Gebäude organisiert. Im Erdgeschoss werden quartiersübergreifende Mobilitäts- und Sharing Angebote für Fahrräder, Lastenräder und Autos angeboten. Zur Hauptachse unseres Gebietes öffnet sich das Gebäude mit unzähligen frei programmierbaren Mikro Ateliers, der Galerie mit Popup Stores, Wohnfreundlichen Handwerksnutzungen und Gastronomieangeboten. Eine besondere Qualität bietet der zum Großen Hof ausgerichteter Kopfbau. Die dort über 3 Etagen geplanten Galerie- Atelier- und Veranstaltungsflächen bieten einen einzigartigen Blick in das dichte Grün der prägenden Bestandsbäume und verleihen den Räumen einen besonderen Charakter. Fahrräder für Anwohner und Besucher werden in ausreichendem Maß (ca. >680) im Erdgeschoss über Doppelparker und in einzelnen Fahrradräumen der Wohngebäude angeboten. PKW-Stellplätze (ca. >300) werden über ein Splitlevel im Mobility Hub realisiert. Die Dachfläche kann für Photovoltaikanlagen und Sportangebote genutzt werden. Gewächshausstrukturen zieren den Kopfbau über der Galerie. Sie können für Urban Farming bespielt werden oder auch als außergewöhnliche Veranstaltungsfläche genutzt werden.
EXKLUSIVE NUTZUNGEN
Besondere Atelierwohnungen umspielen die Querverbindungen und die Hauptachse, welche als belebte Fußgängerzone sich durch das Quartier zieht. Sie sind als Maisonette mit einer erhöhten Erdgeschosszone ausgebildet und gliedern sich über ein Splitlevel. Dadurch können sie individuell entweder für Gewerbe, Atelier oder kleine Werkstätten in Verbindung mit Wohnen genutzt werden. Nach dem Motto, wer sich dem Quartier mit seinen Werken und seiner Kunst öffnen möchte, kann das realisieren oder auch die Räume nur privat nutzen.
Das Quartier zur Kemenate ermöglicht besondere günstige Apartments für Studenten oder Künstler in Verbindung mit außergewöhnlichen Gemeinschaftsflächen und Werkstätten.
Die KiTa im Norden des Quartiers kann sich über eine im Hof geschützte Freifläche ausleben. Sie erstreckt sich im Kopfbau über zwei Geschosse und bildet im eingeschossigen Hofbau mit Oberlichtern und Spielwiese auf dem Flachdach, besondere maßstäbliche Räume für die Kinder aus.
NACHHALTIGKEIT
In der Geschossigkeit der Gebäude gliedern wir uns an die Umgebung an und halten somit die Gebäudeklasse gering. Ein wirtschaftlicher und nachhaltiger Holzbau kann dadurch realisiert werden. Durch die Zentralität des Mobility Hubs und aller angrenzenden Nutzungen können kurze Wege ermöglicht werden. Die Bestandshöfe werden entsiegelt und bieten nun für die Stadt neue Grün und Retentionsflächen für das Klimamanagement. Ausgewählte Flachdächer bieten Flächen für extensive und intensive Begrünung sowie Photovoltaik- und Solaranlagen.
FREIRAUMKONZEPT
BAUMHALLE
Unter den imposanten Bestands-Platanen entsteht ein neuer, zentraler Hof. Welcher gleichzeitig den angrenzenden Wohnnutzungen als Ort der Nachbarschaft (Garten) dient. Der komplette Bereich unter den Bäumen wird entsiegelt und dient zukünftig der Kühlung des Mikroklimas sowie der Entwässerung des Quartiers. Die Bäume stehen in einem Wiesen-Rahmen, Mittig wird eine Rasenmulde ausformuliert, in welcher das anfallende Oberflächenwasser versickern kann (ohne dabei den Wurzelraum der Bäume zu tangieren). Der Spiel-Ort in der Mulde wird im Sinne der Multicodierung „wasserfest“ ausformuliert. Auf einem Steg lässt sich die Fläche auch im Falle eines Regenereignisses betretenen. So rückt das Thema Wasser in den Fokus der Wahrnehmung. Bänke ermöglichen das Sitzen im Schatten und die Kontemplation im Grünen.
HOFGALERIE
Der Ort bietet derzeit eine gewisse Freiheit für künstlerische Tätigkeiten im Bereich der Streetart. Der, dem Ort innenwohnende Geist der Freiheit soll in einen neuen Raum übertragen werden, welcher sich gleichzeitig mit den zukünftigen Nutzungen verknüpft. Der Parkplatz an der Wendenstraße wird zur Hofgalerie. Auch hier wird der Raum stark entsiegelt und durchgrünt. Zur angrenzenden Wohnnutzung entsteht eine Vorzone, durch zusätzliche Baumpflanzungen entsteht ein „grüner Puffer“ zur öffentlichen Nutzung. Die Galerie bietet einen transformativen Raum mit Ausstellungswänden sowie Platz für Skulpturen und andere Kunstwerke. Das Zentrum bildet der Hof-Kiosk, und die Terrasse, auf der man am Abend ein kühles Getränk genießen kann. Im Süden werden notwendige Infrastruktur-Flächen (Unterflur-Müll/Fahrradhaus für die Nachbarschaft) eingebunden.
HAUPTPLATZ
Der Platz bildet das Zentrum des neuen Quartiers. Die Terrassen der angrenzenden Nutzungen ermöglichen ein urbane, vielfältige Bespielung der Räume. Die Bestandsbäume werden zentral auf eine Wiesenfläche gestellt, eine multicodierte Rasenmulde mit Spielmöglichkeiten dient der Oberflächenentwässerung. Bänke ermöglichen den Aufenthalt unter Bäumen. Zur Reichsstraße wird ein Tiny Forest ausgebildet, hierbei werden die Bestandsgehölze um weitere Bäume ergänzt. Der „Wald“ dient als Habitat und kühlt das Mikroklima. Durch die Ausgestaltung in Inseln, wird das Hindurchlaufen und der Aufenthalt im Innern ermöglicht.
FUGEN UND HÖFE
Die Quartiersfugen werden durchgrünt und mit offenen Versickerungsbeeten versehen. An der Reichsstraße entsteht ein grüner Nachbarschaftsplatz, welcher einen „Trittstein“ zwischen den Höfen bildet. In der Gasse westlich des Mobility Hubs entsteht eine Grüne Mitte, in die sich die angrenzende Nutzung ausbreiten kann. Die beiden nördlichen Höfe werden stark durchgrünt und dienen der Kita- bzw. Wohn-Nutzung als Garten bzw. Ort zum Spielen. Im Süden ist der Hof ein Raum für die Gemeinschaft, hier kann z.B. im freien gearbeitet werden oder man trifft sich auf der Kemenaten-Terrasse auf ein Bier.
Beurteilung des Preisgerichts
Die Arbeit fußt auf dem Grundgedanken der Stadtreparatur und spannt auf vorhandenen Strukturen ein robustes wie spannungsvolles Grundgerüst auf. Der Freiraum verbindet das Quartier angemessen in Ost-West sowie Nord-Süd-Richtung und stellt das kulturelle Zentrum mit Galerie und Ateliers be- wusst an die Schnittstelle. Die vorgeschlagenen Blockstrukturen fügen sich in die Maßstäblichkeit des Ortes ein und bilden klare Adressen mit prägenden Sichtbezügen.
Die freiräumlichen Verbindungen werden durch differenziert gestaltete Platzabfolgen sequenziert und bilden eine hohe Aufenthaltsqualität aus. Der Erhalt der Baumstrukturen am Tiny Forest sowie der Übergang zum urban geprägten Quartiersplatz, der durch das Kulturzentrum und angrenzenden Erdgeschosszonen bespielt wird, werden positiv bewertet. Der Platz der Baumhalle bildet die Grüne Mitte.
Gemeinsam mit dem Park an der Wendenstraße trägt er positiv zum Stadtklima bei. Das Einbringen von Retentions- und Wasserflächen im Freiraum wird begrüßt. Die Dimensionierung und freiräumliche Nutzung der Hofgalerie als neuer Freiraum an der Wendenstraße und mit Verbindungsfunktion zum Inselwall wurde kritisch diskutiert.
Die Wegeführung und Proportionen der Straßenräume innerhalb des Quartiers sind überzeugend. Sie schließen sinnfällig an bestehende Nachbarschaften an und eröffnen prägende Blickbeziehungen ins- besondere zu St. Andreas und Alte Waage. Die Öffnung zum Hagenhof wird positiv bewertet und ist weiter zu verfolgen. Die Positionierung des Mobility-HUBs ermöglicht verkehrsberuhigte Bereiche in weiten Teilen des Quartiers. Eine alternative Erschließung ist zu prüfen. Radabstellanlagen sind im weiteren Verlauf auch zusätzlich dezentral im Stadttraum zu integrieren.
Das auf den Grundmauern der alten Markthalle platzierte Kulturzentrum überzeugt durch seine Lage und Nutzungsmischung. Es bildet eine sehr attraktive Adresse im Quartier und belebt den Stadtraum durch die angesiedelten Erdgeschossnutzungen. Die Nutzungsverteilung zwischen Galerie, Kultur und Parken ist innerhalb des Bausteins weiter auszuformulieren.
Die drei Blöcke entlang der Reichsstraße sind wohldimensioniert und bilden klare Raumkanten. Die Innenhöfe sind gut proportioniert und erzeugen eine hohe Qualität für die Bewohner*innen. Die Einbindung der Kemenate in die Blockstruktur wird positiv bewertet, die Abstände und Dichte im südlichen Block sind noch nicht gänzlich überzeugend.
Die Höhenentwicklung fügt sich gut in die bestehende Stadtstruktur ein und kann besonders im Be- reich der südwestlichen Wohn- und Mischnutzung durch die kleinteilige Heterogenität überzeugen. Die Nutzungsmischung aus kreativen und sozialen Angeboten sowie dem differenzierten Wohnraumangebot werden erfüllt und in der Verteilung begrüßt. Die Lage und Zugänglichkeit der Kita ist zu überdenken.
Insgesamt besticht die Arbeit durch eine gute Vernetzung im Stadtraum sowie einen wohl proportionierten Städtebau mit klaren Raumabfolgen. Der Übergang zwischen Alt und Neu ist überzeugend gelöst. Die bauliche Dichte des Quartiers ist noch nicht in Gänze überzeugend, die Jury regt zur Prüfung einer maßvollen Nachverdichtung an.
Ebenso ist die Dimensionierung des Freiraumes an der Wendenstraße infrage zu stellen und die Qualifizierung der Fläche durch weitere bauliche Nachverdichtung überdenkenswert, wobei der mutige Ansatz der Ausbildung eines klimaaktiven Freiraumes an dieser Stelle von der Jury ausdrücklich gewürdigt wird. Über die Verteilung einzelner Nutzungen, wie Kita und Kulturzentrum, ist nachzudenken.