4. Preis Großer Hof - Beitrag 1018
Städtebaulich-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb: Wohn- und Kreativquartier Großer Hof
Grüner Hof, Braunschweig Kreativquartier mit blaugrünem Herzen
Der städtebauliche Entwurf für den Grünen Hof in Braunschweig zielt darauf ab, ein nachhaltiges, lebendiges und kulturell bereichertes Quartier zu schaffen, das sich harmonisch in die bestehende Stadtstruktur einfügt und gleichzeitig innovative Lösungen für die Herausforderungen moderner Stadtentwicklung bietet. Das Konzept konzentriert sich auf eine ausgewogene Mischung aus Wohn-, Kreativ- und Freiflächen und schafft durch klare Raumkanten eine prägnante Kreativmeile, sowie einen großen grünen gemeinschaftlichem Hof.
Städtebau und übergeordnete Erschließung
Die neuen Gebäude definieren die Eingangsbereiche des Großen Hofs und sorgen für eine klare Orientierung von den Straßenzugängen aus. Die Ost-West-Achse wird als urbane, grüne Meile gestaltet und bietet ausreichend Platz für kulturelle, soziale und gewerbliche Nutzungen im Erdgeschoss. In Nord-Süd-Richtung werden die Zufahrtsstraßen abgefangen und über grüne, fußläufige Wohngassen entlang des biodiversen Parks an die Meile angebunden.
Die städtebauliche Entwicklung erfolgt in mehreren Phasen, die eine dynamische und flexible Anpassung an die Anforderungen und Potenziale des Standorts ermöglichen.
Phase 1 Variante A: Startpotentiale dynamisch ausloten!
Das städtebauliche Konzept schließt die fragmentierte Blockstruktur und öffnet deren versiegelte Flächenstrukturen.
Eine dynamische Entwicklung ist aus unterschiedlichen Richtungen möglich. Im ersten Schritt werden differenziert erste Flächenpotenziale ausgelotet. Beispielsweise kann im Westen der bestehende Wohnblock ergänzt und geschlossen werden.
Phase 1 Variante B: Stellplätze entsiegeln, Flächenpotentiale schaffen.
In einem frühen Schritt wird der zukünftige Stellplatzbedarf ermittelt. Die Nachbarschaft liegt zentral in Braunschweig und ist gut an das öffentliche Nahverkehrsnetz angebunden. Im Westen an der Reichsstraße entsteht eine Quartiersgarage, sodass privater Verkehr außerhalb des Großen Hofs gesammelt werden kann. Durch die Stapelung der Stellplätze entsteht ein großes Potenzial zur Entsiegelung und Flächennutzung.
Phase 2: Weiterbauen, Nachverdichten, Raumkanten ausbilden.
Durch den Abriss der alten Schulgebäude kann die bestehende Bebauung fortgeführt und neue Raumkanten geschaffen werden. Die neue Kulturmeile wird in Ost-West-Richtung eingefasst, während im Inneren ein grüner nachbarschaftlicher Park entsteht, der durch soziale, gastronomische und künstlerische Angebote (z.B. an der alten Sprayer-Mauer) ergänzt wird. Diese grüne Mitte wird zu einem neuen, sozialen und ruhigen Zentrum.
Phase 3: Die Kulturmeile und der grüne Anger schaffen ein neues starkes Zentrum.
Die Kulturmeile verbindet von West nach Ost die heutige zu Teilen für Ausstellungen genutzte Kirche und das Fachwerkhaus „Alte Waage“, die Atelierwohnungen am Kunstweg, das Haus der Familie am grünen Nachbarschaftspark und im Osten die neue Braunschweiger Kunstgalerie an der Wendenstraße. Der neue Braunschweigerhof ist von Grün, Nachbarschaftlich und aktiv.
Nutzungskonzept:
Das Konzept schafft eine lebendige und dennoch nachbarschaftliche Kreativmeile mit einer blaugrünen Mitte und zwei besonderen Bausteinen: der strahlenden Galerie im Osten und dem Haus der Familie mit unterschiedlichen sozialen Nutzungen (Café, Jugendtreff, Kita, betreutes Wohnen und Nachbarschaftsgarten). Entlang der Meile ist die Erdgeschosszone offen und belebt, hier finden sich gastronomische, produktive und soziale Nutzungen. Erdgeschossige Wohnformen sind als Maisonettewohnungen mit Atelier und Produktionsfokus geplant. In den Obergeschossen befinden sich verschiedene Wohnformen.
Freiraum und Vegetationseinsatz
Die Gliederung der Freianlagen im Großen Hof erfolgt durch zwei klare, sich überschneidende Freiraumtypologien. Die verkehrsberuhigte Urbane Kreativmeile in Ost West Richtung mit biodivers bepflanzten Klimahainen, gebäudenahen Aufenthaltsbereichen und Micro-Plätzen vor der neuen Galerie und zur Reichsstraße hin. In Nord-Süd Richtung verläuft die Parkachse mit grünem Anger, Gemeinschaftsgarten und Open Air-Galerie an der alten Mauer mit Bühne, Sitzplätzen, Spielbereichen und der Kita-Freifläche. Im Schnittbereich befindet sich der offene Quartiersplatz am Familienzentrum als Treffpunkt und Anlaufstelle im Quartier.
Resilientes Gehölzkonzept
Der Entwurf arbeitet mit den bestehenden Freiräumen und alten Baumbeständen. Der überwiegende Teil der Bestandsgehölze wurde in der Umgestaltung berücksichtigt und durch 45 Neupflanzungen von Klimagehölzen aus dem Klima-Mix ergänzt. Entlang der Kulturmeile in Ost-West Richtung prägen besondere Blühgehölze die übergeordnete Meile. Im nachbarschaftlichen Garten vor dem Haus der Familie entsteht eine kleine Obstbaumwiese.
Retentionsmanagement und Schwammstadt-Prinzip
Durch den hohen Grad an Entsiegelung und den gesteigerten Grünanteil im Großen Hof werden neue dezentrale Versickerungsflächen geschaffen. Dabei kommen unterschiedliche Maßnamen des Schwammstadtprinzips zum Tragen: Raingardens mit Zisternen zur Sicherung des Regenwassers auf der Meile; Oberirdische Versickerungsmulden in den großen Grünflächen, sowie Baumrigolen an einzelnen Baumstandorten und in den Innenhöfen. Zusätzlich werden versiegelte Platzbereiche mit drainfähigem Pflaster hergestellt und die Skate-Anlage kann im Starkregenfall temporär Niederschlag anstauen.
wurde in der Umgestaltung berücksichtigt und durch 45 Neupflanzungen von Klimagehölzen aus dem Klima-Mix ergänzt.
Mobilität und Anbindung
Im Sinne eines zukunftsfähigen Quartiers wurden Flächen entsiegelt und für Fuß- und Radverkehr optimiert. Eine zentrale Grüne Meile verbindet die St.-Andreaskirche im Westen mit der Tramstation im Osten. Die Quartiersgarage wird über die Reichstraße erschlossen, um die Nachbarschaft autofrei zu halten. Im Erdgeschoss der Garage befinden sich Sharing-Angebote und eine Packstation. Müll- und Rettungsfahrzeuge haben Zugang über die Randbereiche der Bebauung sowie teilweise über Fuß- und Radwege und entsiegelte Rasengittersteinflächen.
Energie & Schallschutz
Die Nachbarschaft wird durch den ruhigen und grünen Hof geprägt, der als lärmgeschützter, sozialer Erholungsort dient. Die Bebauung erweitert den Bestand und schafft neue Raumkanten und Adressen entlang der Straßen. Die Blöcke schirmen den Straßen- und Bahnlärm ab und schaffen grüne, ruhige Innenhöfe. Geneigte Dächer passen sich dem ortstypischen Bild an und werden mit PV-Modulen zur Stromerzeugung ausgestattet. Der Quartiershub dient als Energiezentrale für die Nachbarschaft. Nahwärme wird über ein zentrales Erdsondenfeld erzeugt und über kurze Wege verteilt.
Schlusswort:
Dieser städtebauliche Entwurf bietet eine durchdachte und zukunftsorientierte Vision für den Grünen Hof in Braunschweig. Er verbindet innovative Konzepte in den Bereichen Wohnen, Mobilität und Nachhaltigkeit mit einem starken Fokus auf soziale und kulturelle Aspekte, um ein lebendiges und resilienten Quartier zu schaffen.
Beurteilung des Preisgerichts
Der Arbeit gelingt es sehr gut, ein klares städtebauliches Konzept zu entwickeln, das auf einem starken Freiraumgerüst mit hoher Verzahnung in die umgebende Stadtlandschaft basiert. So verbindet die Kreativmeile das Areal um die St. Andreas Kirche im Westen konsequent über den Großen Hof mit den östlich angrenzenden Quartieren. Im Inneren des Areals kann der klimaaktive Grüne Hof als neue Stadtoase in seinen Grundsätzen überzeugen.
Diese grüne Mitte nimmt das Potential des Platanenhains auf und erweitert ihn als nutzungsintensiv programmierte Grünfläche zusammen mit dem Haus der Familie nach Süden. Relikte der Mauer verweisen hier nachvollziehbar auf die Historie des Ortes. Das Haus der Familie mit neuem Café und der Kita mit zugehörigem Freiraum werden den Ort glaubhaft für seine Nachbarschaft beleben und strahlen auch über das Quartier hin aus. Die verkehrliche Lösung wird sehr gewürdigt. Die Quartiersgarage an der Reichsstraße wird in seiner Position als positiv gesehen und lässt ein vom MIV freies Quartier glaubhaft erscheinen. Die bauliche Masse gegenüber der nahen Wohnbebauung wurde hingegen kritisch diskutiert.
Die baulichen Arrondierungen entlang der Reichsstraße sind in ihrer Dimension ebenfalls gut nach- vollziehbar und fügen sich unaufgeregt in die Umgebung ein. Auch die Höherentwicklung und Dachlandschaft der neuen Bebauung wirkt für den Ort sehr stimmig. Die begrünten Höfe der Blockstrukturen bieten ruhige Freiräume mit Rückzugsmöglichkeiten.
Kontrovers betrachtet wird die insgesamt eher geringer Dichte der baulichen Setzungen. So könnte eine höhere bauliche Masse des Baukörpers des Familienzentrums das Verhältnis von Bebauung und Freiraum im Herzen des Quartiers positiv justieren. Die Positionierung der Kunstgalerie am Werder trägt positiv zur Adressbildung des Quartiers bei. Geäußert wird jedoch auch die Befürchtung, somit einen Hauptmotor für das gewünschte kreative Potential im Quartier zu verlieren. Auch das Angebot weiterer Bausteine, die die Kreativwirtschaft im Quartier fördern, wird als zu gering eingeschätzt. Unter anderem das kleine Cluster an der Kemenate scheint u.a. für Werkstätten gut geeignet. Die Verortung des Wertstoffstandorts wird vermisst.
Die Arbeit bietet einen hohen Grünanteil, geringe Flächenversiegelung und mit vielen Ansätzen zur Regenwasserbewirtschaftung.
Insgesamt gelingt es der Arbeit eine überzeugende Lösung für ein lebenswertes und zukunftsfähiges Quartier mit hohem zu erwartenden Wohnkomfort und Benefit auch über die Nachbarschaft hinaus aufzuzeigen. Kritisiert wird der recht hohe Freiflächenanteil und die geringe bauliche Dichte. Eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Thema des kreativen Arbeitens wäre darüber hinaus wünschens- wert gewesen.