Anerkennung - Beitrag 1002

André Poitiers Architekten, Hamburg mit arbos Freiraumplanung, Hamburg

Lageplan urbanes Quartier am Hauptgüterbahnhof Anerkennung - Beitrag 1002© André Poitiers Architekten, Hamburg mit arbos Freiraumplanung, Hamburg
Vogelperspektive Anerkennung - Beitrag 1002© André Poitiers Architekten, Hamburg mit arbos Freiraumplanung, Hamburg

Städtebau

Das städtebauliche Konzept des Entwurfs berücksichtig die Bestandsstraße und verbindet sich mit den benachbarten Quartieren. Hierdurch entsteht ein urbanes, grünes Gesamtquartier. So wird beispielsweise das Quartier Ackerstraße aus seiner eher isolierten Lage befreit. Durch öffentlich nutzbare Freiflächen, Kinder- und Jugendspielplätze, sowie an zentralen urbanen Orten und Grünoasen, entsteht ein lebendiges gemeinsames Stadtquartier. Die Anbindung der Nachbarquartiere an kulturelle und soziale Einrichtungen schafft ein nachbarschaftliches Zusammenleben. Ziel dieser städtebaulichen Entwicklung unterschiedlicher, eigenständiger Quartiere ist zum einen die Förderung der Nutzungsvielfalt und damit der Idee der gemischten, urbanen Stadt. Zum anderen kann durch die autarken Quartierskonzepte eine unabhängige schrittweise Entwicklung und ein hohes Maß an Flexibilität im Rahmen des städtebaulichen Transformationsprozesses gewährleistet werden. Durch die Berücksichtigung der bestehenden Erschließung und Grundstücksgrenzen ist das städtebauliche Grundgerüst zudem extrem robust und resilient gegenüber heute noch nicht absehbaren Entwicklungen.

Entwicklung der Quartiere

Der öffentliche Raum wird in diesem städtebaulichen Transformationsprozess zum Garant für gestalterische Qualität. Die vielen denkbaren Zwischenstände können nur über ein konsequent angelegtes und grün gestaltetes Netz an öffentlichen Räumen integriert werden. Die grünen Mitten der drei Quartiere übernehmen dabei nicht nur gestalterische Aufgaben, sondern werden als Teil der blaugrünen Infrastruktur verstanden. Topografisch werden sie so angelegt, dass sie bei Starkregenereignissen den Überflutungsschutz gewährleisten. Gleichzeitig werden mit der Bepflanzung sommerliche Hitzeperioden besser gepuffert und ein Beitrag zur Biodiversität in der Stadt geleistet.

Fußgängerperspektive Anerkennung - Beitrag 1002© André Poitiers Architekten, Hamburg mit arbos Freiraumplanung, Hamburg

Drei Quartiere

Das “Harkortquartier” bildet das kulturelle Zentrum des neuen Standortes. Mit der H_LLE - einem ehemaligen Holzlager - existiert hier bereits ein aktiver Kulturstandort, der weit über das Areal des ehemaligen Güterbahnhofs hinaus ausstrahlt. Ein neuer Quartierpark bietet der H_LLE und ihren Akteur*innen Freiraum für unterschiedlichste Aktivitäten, ob für den Rollerclub, Fahrrad- oder Segelboot-Konstrukteur*innen, Oldtimer- und Bulli-Fans, den Kunstverein oder eine DIY-Werkstatt. Am Quartierpark wird auch die geforderte Grundschule verortet, die die südliche Raumkante des Parks bildet. Zusammen mit der erhaltenen Westermannhalle, ergänzenden Nutzungen, wie einem Einzelhandelsstandort und einem Quartiershub für neue Mobilität, soll hier im ersten Bauabschnitt ein gemischtes urbanes Quartier entstehen, das als Katalysator für die Entwicklung des Standortes am Hauptgüterbahnhof genutzt werden soll. Neben dem Quartierpark wird die heutige Harkortstraße als Fußgängerzone zum wichtigsten öffentlichen Raum für zu Fuß gehende und Radfahrende umgebaut. Als Straße der Zukunft wird sie zeitlich nur eingeschränkt vom KFZ-Verkehr genutzt werden und stattdessen viel Raum für Bäume, Flächenbegrünungen und die Menschen des Quartiers bieten.

Das Helmstedtquartier wird im Gegensatz zum Harkortquartier als Wohnquartier entwickelt. Vier Baufelder fassen auch hier einen zentralen Freiraum, der als grüner Quartiersplatz mit Spielangeboten für die zukünftigen Bewohner*innen konzipiert ist. Der grüne Quartiersplatz bindet bewusst die östlich angrenzen- den Wohnsiedlungen an der Helmstedter Straße mit an, um bestehende und neue Wohnsiedlungen besser zu integrieren. Die Erschließung des Helmstedtquartiers erfolgt über die Straßenbahnhaltestelle und einen eigenen Mobiltyhub von der Straße Am Hauptgüterbahnhof oder von der Helmstedter Straße. 

Im Westen wird das Quartier vom Grünzug und den nördlichen Westermannhallen begrenzt. Das Stephensonquartier entsteht als letzter Bauabschnitt auf dem heutigen DHL-Gelände. Durch die unmittelbare Nachbarschaft zum Standort der Siemens Mobilty wird es als Quartier entwickelt, in dem Wohnen und Arbeiten unter einem Dach ermöglicht werden. Auch das Stephensonquartier wird um eine grüne Mitte entwickelt und erhält im Südwesten einen eigenen Mobiltyhub.

 

Ausschnitt Lageplan Anerkennung - Beitrag 1002© André Poitiers Architekten, Hamburg mit arbos Freiraumplanung, Hamburg

Freiraum

Der Quartierpark an der H_LLE und die beiden grünen Quartierplätze im Helmstedtquartier und im Stephensonquartier bieten im Sinne der Multicodierung von Freiräumen den zukünftigen Bewohner*innen und Nutzer*innen auch vielfältige Aufenthalts- und Aktivitätsmöglichkeiten. Kulturelle Veranstaltungen, Treff- punkte, Sport und Spielangebote tragen dazu bei, den heutigen Hauptgüterbahnhof zu einem lebenswerten, urbanen Quartier zu machen. Die Straßen werden in Zukunft nicht mehr als Bewegungs- und Abstellraum für Autos gesehen, sondern als Lebensraum für Menschen, Pflanzen und Tiere. Dieser ambitionierte Ansatz der Entwicklung von drei unterschiedlichen, eigenständigen Quartieren, die über ein blaugrünes Netz an öffentlichen Räumen miteinander verbunden werden, ist der Kerngedanke für den städtebaulichen Transformationsprozess. Er orientiert sich im Sinne der Nachhaltigkeit am Bestehenden sowohl im materiellen, als auch im prozesshaften Sinn.

Beurteilung des Preisgerichts

Leitidee des Entwurfs ist die Schaffung von Quartieren. Die Teilnehmenden sprechen von „3+“ Quartieren. Tatsächlich sind aber die Quartiere durch die stadträumliche Struktur, die klar erkennbare Blockrandbebauung und die gut ablesbaren Straßen ein einziges Stück Stadt. Allein das sogenannte Bahnhofsquartier ist nach Süden hin durch einen Grünstreifen abgetrennt. Die Blöcke sind mit Kantenlängen von ca. 60- 90 m gut dimensioniert und entsprechen einer klassischen städtebaulichen Typologie, die sich in ihrer Art und Ausformung als nutzungsneutral beziehungsweise flexibel erweist. Ausnahme hiervon bildet wiederum das Bahnhofsquartier. Hier binden an- und aufgesetzte Bürogebäude die bestehende Güterhalle in eine kammartige Struktur ein. Die H_LLE und das Westermann-Gebäude werden außerdem in eine Art Superblock integriert.

Die Erdgeschosszonen der meisten Blöcke bieten erhöhte und vertiefte Erdgeschosse an. Dadurch finden die gewünschten kulturellen und kleinteiligen gewerblichen Nutzungen genügend Platz und können das Quartier beleben.

Die Arbeit vernetzt sich stark über ein System aus Achsen über das Quartier hinaus. Der Verlauf der Straßen von Nordwest nach Südost verbindet das neue Quartier gut mit dem Bestand an der Ackerstraße. Dies geschieht allerdings zu Lasten des ein oder anderen Bestandsgebäudes und unter Vernachlässigung des dortigen Geländesprungs. Die Straßenräume erweisen sich in ihrer Dimension und mit den großzügig langen Bauminseln in ihrer jeweiligen Mitte als einladender Stadtraum. Die Vernetzung der Quartiere wird dadurch unterstützt.

Herausgehoben erscheint ein schnurgerader Boulevard von Nordost nach Südwest - verlaufend in seinem Beginn an der Friedhofsmauer und seinem Ende am Logistikzentrum - recht willkürlich gesetzt. Die Achse wird als Gedanke mit ihrem hohen Nutzungsangebot positiv in ihrer Form und Ausformulierung aber als zu starr empfunden. Die Situation wird dann besser, wenn die Logistiknutzung in Zukunft einmal weichen und das Quartier an dieser Stelle durch einen Platz sowie durch gemischte Nutzung ergänzt wird. Der nördliche Teil jenseits der Straße Am Hauptgüterbahnhof ist in seiner Form und Funktion nicht nach- vollziehbar.

Atmosphärische Aufnahme während des Preisgerichts© Stadt Braunschweig

Die Realisierbarkeit in Stufen funktioniert insoweit gut, als dass das städtebauliche Gewebe sukzessive aufgebaut werden kann und soweit die Erschließung der Logistiknutzung nicht durch das Wohngebiet verlaufen muss. Es bleibt zu prüfen, ob auch eine Anbindung im Bereich Siemens Campus gelingen könnte. Wenn nicht, würde dessen Anbindung zu Lasten des großzügigen Grünstreifens am Südostrand des Quartiers gehen. Eine Nachbarschaft von Logistik und Wohnnutzung ist in einer frühen Phase der Quartiersentwicklung nicht denkbar.

Neben der Vernetzung und dem grünen Band ist ein großer grüner Platz, in seiner Anmutung eher ein Park, in der Quartiersmitte prägend – ein Park, der Blockgröße hat. Gewürdigt wird der zentrale Park in seiner mutigen Dimensionierung, der sowohl Aufenthaltsqualität verspricht als auch einen großen Beitrag zum Regenwassermanagement leisten kann. Diese Geste scheint fragwürdig, zumal er aufgrund seiner Höhenlage von seinen umliegenden Nutzungen unnötigerweise absetzt.

Als Entrée zum Quartier wird sowohl ein Hochpunkt als auch ein Platzbereich angeboten. Dort liegen richtigerweise sowohl der Einzelhandel als auch der einzige Mobilitäts-Hub. Die Schule ist weit in das Quartier hineingezogen und befindet sich westlich des großen Grünplatzes. Es ist jedoch nicht ausreichend Freiraum im Bereich der Schule nachgewiesen.

Insgesamt hat der Entwurf eine robuste städtebauliche Struktur, die viel Flexibilität im Hinblick auf die Ausgestaltung der Nutzung bietet.

Erläuterungen und Hinweise